Was hier präsentiert wird, hat in der Fachwelt Gewicht: Im voll besetzten Auditorium des Berliner NS-Dokumentationszentrums Topographie des Terrors wurde Anfang Juli eine lange erwartete Studie über die biodynamische Bewegung in der NS-Zeit vorgestellt. Passend zum 100. Geburtstag der von Rudolf Steiner begründeten Anbaumethode hatte der Demeter-Verband zusammen mit dem Goetheanum (Sektion für Landwirtschaft) und der Internationalen Demeter-Vereinigung den Auftrag einer unabhängigen Aufarbeitung an drei renommierte Historiker:innen übergeben. Anders als etwa bei der jüngst vorgelegten Arbeit zur Anthroposophischen Medizin während der NS-Diktatur haben Meggi Pieschel, Susanne zur Nieden und Jens Ebert keine persönliche Beziehung zur Anthroposophie, sondern sind durch ihre schon vorliegenden Standardwerke zur Rolle der Landwirtschaft in der NS-Zeit qualifiziert. Jenseits von Apologetik oder ideologisch motivierten Pauschalverurteilungen entsteht durch ihre Untersuchung ein faktenreiches und in vielen Teilen ambivalentes Bild. Zwar „fällt auf, dass rassistische Argumentationen fehlen … antisemitische Äußerungen kamen in (der Zeitschrift) Demeter nicht vor“, heißt es einerseits in der Studie. Damit widersprechen die Historiker:innen explizit der mitunter vorgebrachten Ansicht einer weltanschaulichen Kompatibilität von Anthroposophie und Nationalsozialismus. Andererseits zeichnet sich eine politisch höchst naive biodynamische Szene ab, die lange Zeit in dem Glauben lebte, ausgerechnet mit dem Aufstieg Hitler-Deutschlands sei ihre Stunde gekommen, die es zu nutzen gelte.
Das Jahr 1933
Nicht einmal ein Jahrzehnt zurück liegen die grundlegenden Vorträge Rudolf Steiners zur Landwirtschaft, als der Nationalsozialismus an die Macht gelangt. Sofort beginnt im Sinne der Gleichschaltung wie bei anderen Verbänden auch eine Überwachung der biodynamisch tätigen Menschen durch die Gestapo und den SD. Die vorhandenen Höfe schließen sich, in der Hoffnung auf bessere Kommunikation mit den neuen Machthabern, zu einem „Reichsverband“ zusammen, dem der Demeter-Landwirt Eberhard Bartsch im Sinne des „Führerprinzips“ vorsteht; sein Stellvertreter wird der Landwirt Franz Dreidax, beide waren bei Steiners landwirtschaftlichen Vorträgen in Koberwitz dabei. Anders als die meisten Waldorfschulen, die sich selbst auflösen, entscheidet sich Demeter also für eine Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern, um die Arbeit fortsetzen zu können. Bartsch und andere wenden sich an einzelne Vertreter des neuen Regimes, um sich als Alternative für eine naturverträgliche Volksernährung zu präsentieren. Was den Autor:innen der Studie dabei auffiel: „In Denkschriften und Artikeln bezogen sich die anthroposophischen Biodynamiker in der NS-Zeit immer wieder auf Texte Rudolf Steiners, auch wenn die meisten seiner Schriften verboten waren. Es finden sich darin aber keine Hinweise auf theosophisch kosmische Rassentheoreme, sie spielten tatsächlich in den biodynamischen Schriften keine Rolle. Antisemitische Äußerungen, mit denen man sich bei den Nationalsozialisten hätte anbiedern können, findet man allenfalls in wenigen Ausnahmefällen.“
In München lässt Ilse Heß, Ehefrau des „Führer-Stellvertreters“ Rudolf Heß, den Garten ihrer Münchener Villa biodynamisch pflegen. Sie und bald auch ihr Mann sind von der Methode überzeugt. Ab Januar 1934 entsteht im Rahmen des von Heß ins Leben gerufenen Referats „Lebensreform“ ein Protektorat für die Biodynamik. Es bietet neben anderen kleineren Reformbewegungen auch den Biodynamikern eine Art Refugium, freilich in der Absicht, heterogene Splittergruppen kontrolliert für den neuen Staat nutzbar zu machen. Von Steiner und der Anthroposophie hält Heß nichts; das knapp ein Jahr später ergangene Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft unterstützt er vollumfänglich.
Die weitere Entwicklung verläuft widersprüchlich: Während die meisten NS-Ideologen klar die Unvereinbarkeit der eher individualistisch ausgerichteten Anthroposophie mit kollektivistischem Rassedenken erkennen, vertritt „Reichsnährstand“-Führer Walther Darré mit seiner berühmt gewordenen „Blut und Boden“-Formel eine Landwirtschaft, die gegen die Interessen der Agro-Industrie gerichtet ist. Er scheint sich dadurch als Verbündeter der biodynamischen Wirtschaftsweise anzubieten. Darré und seinem Amt gegenüber versuchen die biodynamischen Aktivisten, den Beitrag ihrer Höfe „zur Erneuerung Deutschlands“ darzustellen und insbesondere das Prinzip der Autarkie bezüglich der Futter- und Düngemittelgewinnung zu betonen. Darée besucht den Demeter-Musterbetrieb Marienhöhe in Brandenburg, weitere NS-Größen folgen ihm dorthin. Durch ihre Kontakte erwirken Bartsch und Dreidax Ausnahmen, beispielsweise zu dem in der NS-Landwirtschaft vorgeschriebenen Zwang zur chemischen Schädlingsbekämpfung und für Preisaufschläge bei Demeter-Getreide, die von planwirtschaftlichen Vorgaben abweichen. Im April 1940 wird in Bad Saarow nahe von Hof Marienhöhe sogar eine eigene Ausbildungsstätte, das Demeter Haus, in Kooperation zwischen Reichsverband und Reichsnährstand gegründet.
Die eher „grüne“ NS-Fraktion in Sachen Landwirtschaft, die biodynamische Elemente unter dem Stichwort „Lebensgesetzlicher Anbau“ zu adaptieren versucht, hat innerhalb der NS-Nomenklatura allerdings auch entschiedene Gegner: Speziell Martin Bormann, der nach dem Englandflug von Heß im Sommer 1941 an dessen Stelle rücken sollte, ist überzeugt, dass die Versorgung der deutschen Bevölkerung nur mithilfe chemischen Düngers gewährleistet werden könne und bekämpft den Reichsverband. Umgekehrt gilt die Agrarindustrie den führenden Vertretern des biodynamischen Anbaus offenbar als ein weit größerer Gegner denn der NS, wie die Autor:innen der Studie festhalten.
Verbot und Kollaboration
Im Sommer 1941 setzt die geheimpolizeiliche Auflösung des Reichsverbands den Träumen der Biodynamiker ein Ende. Der Englandflug von Rudolf Heß lässt sie nicht nur schutzlos zurück, sondern wird auch zum Fanal für das NS-System, ein für allemal mit allem Esoterischen aufzuräumen, das man bei Heß als Hintergrund vermutet. Man verhaftet Bartsch und bezichtigt ihn sogar einer Verschwörung, wonach er Heß manipuliert haben soll. Bartsch wird nach kurzer Zeit wieder freigelassen, dann später erneut verhaftet und mehrere Wochen in Einzelhaft festgehalten. Zu einer größeren Verfolgung anderer Akteure kommt es allerdings nicht. Dazu lässt der Führer des Reichssicherheitshauptamts Reinhard Heydrich in einer vielsagenden Anordnung wissen: „Eine politische Belastung der einzelnen kleinen Anhänger der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise könnte auch deshalb nur schwer festgestellt werden, weil es zur ganzen Haltung der Anthroposophen gehört, dass sie sich zur Zeit sehr national und deutschbetont gibt (….), in ihrem tiefsten Wesen aber einen gefährlichen Faktor orientalischer Zersetzung der germanischen völkischen Art darstellt.“ Die meisten bestehenden biodynamischen Betriebe können weitergeführt werden, wenn auch die Versorgung mit den Präparaten und der Verkauf der Produkte nur noch schwer möglich ist.
Nach der Auflösung des Reichsverbandes und der zeitweisen Verhaftung von Bartsch ist die Ära der Biodynamik in der NS-Zeit jedoch noch keineswegs zu Ende. Es entstand vielmehr, wie die Studie formuliert, „die absurde Situation, dass es nun die SS war, die die verbotene biologisch-dynamische Wirtschaftsweise hauptsächlich förderte und weiterführte“. Der gelernte Landwirt Himmler hat weiterhin ein lebhaftes Interesse daran und will ihre Ergebnisse systematisch auswerten. Das passiert ausgerechnet im Umkreis der Konzentrationslager Ravensbrück und Dachau, wo die SS eigene Versuchsgüter unterhält und dafür nun einige wenige Demeter-Fachkräfte rekrutiert. Mit dieser Arbeit „endete für die Biodynamiker …. das Versteckspiel vor missgünstigen Behörden und Mitgliedern des Regimes. Preis dafür war allerdings die direkte Einbeziehung in den Terrorapparat der SS“, so die Studie, die hier ausdrücklich von Kollaboration spricht.
Weitere Einsatzmöglichkeiten sollen sich in der eroberten Ukraine ergeben, insbesondere in der Region Schytomyr, wo das Modellgut Wertingen entsteht. Zahlreiche weitere hätten folgen sollen. Die umfangreichen Planungen im Vorzeichen völkisch-imperialer Besiedlung werden jedoch nicht umgesetzt: Erst fehlt es an umsiedlungswilligen deutschen Familien, dann setzt die sowjetische Rückeroberung ein.
Biografische Schlaglichter
Die historische Studie zeigt das Verhalten der Demeter-Akteure stets vor dem Hintergrund der großen politischen Verhältnisse der Zeit, dem personellen Netz des Terrorregimes mit all seinen internen Intrigen. Sie lässt Raum für Ambivalenz und auch für menschliche Tragik. Eberhard Bartsch, dem die Studie durchaus „Wagemut“ attestiert, kann man zugutehalten, dass er überzeugt war, primär immer der biodynamischen Sache und nie dem Nationalsozialismus zu dienen. Die Untersuchung dokumentiert allerdings auch höchst irritierende Äußerungen von ihm, wenn er etwa in einer Silvesteransprache zum Jahreswechsel 1940/41 den „einzigartigen Sieg der deutschen Waffen über einen vom westlichen Ungeist geleiteten Gegner“ beschwört und ein „Gelöbnis des letzten Einsatzes im Kampf für die Ernährungssicherung unseres Volkes“ ablegt. Dass sein Einsatz für eine gesunde, die Erde pflegende Anbauweise ein Unrechtssystem stabilisierte, kam ihm nicht zu Bewusstsein. – Ähnliches gilt für Franz Lippert, bis 1940 Gärtner bei der Weleda, der von 1941 bis zum Kriegsende die Leitung der euphemistisch als „Plantage“ bezeichneten Gartenanlage im KZ Dachau übernahm und dazu auch Mitglied der SS wurde. Diese Kollaboration ist bis heute immer wieder Angriffspunkt für Kritik an der Anthroposophie. Zwar kam nach dem Krieg eine Entnazifizierungs-Kommission zu dem Schluss, Lippert sei „überhaupt nicht belastet“ und es gibt positive Äußerungen früherer KZ-Insassen über ihn. Allerdings stellt die Studie auch fest: „Von Lippert sind keinerlei Aussagen überliefert, die ein Problembewusstsein erkennen ließen, dass er im KZ Dachau im Umfeld eines extrem verbrecherischen Systems tätig gewesen war.“
Immerhin resümieren die Verantwortlichen der Untersuchung gegen Schluss: „An den Menschheitsverbrechen des NS-Regimes hatten die biodynamisch betriebenen Güter … keinen direkten Anteil“. Dass wichtige Akteure der biodynamischen Bewegung aktiv am System des NS mitwirkten, ist allerdings beschämend genug. Den Autor:innen der Studie gebührt Dank für ihre akribische Arbeit, den Initiator:innen aber auch für den Mut, diesen Auftrag ergebnisoffen vergeben zu haben. ///
Jens Ebert, Susanne zur Nieden, Meggi Pieschel: Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit. Akteure – Verbindungen – Haltungen. Metropol Verlag Berlin, 2024, 477 Seiten, € 34.00
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