Wir sehnen uns heute danach, der Natur wieder näher zu sein. Die Rufe nach Verbundenheit werden lauter, von Teilen der grünen Bewegung bis zum Waldbaden-Trend. Vielen Menschen wird auch deutlich, dass dazu ein neues Bewusstsein nötig ist. Ein Beispiel unter anderen: Der bekannte amerikanische Schriftsteller Richard Powers versucht in seinem Roman Die Wurzeln des Lebens, eine Geschichte zu schreiben, die zu einem großen Teil aus der Perspektive von Bäumen und ihrer Verflechtung mit Menschen geschrieben ist. Für ihn ist klar: Wir müssen zu einer neuen Kultur der Verbundenheit kommen, welche die Natur nicht nur als Ressource erfasst.
Um die Eigenständigkeit des Lebendigen gegenüber dem Menschen zu betonen, hat der mit ihm befreundete amerikanische Philosoph David Abram einen neuen Begriff geprägt: die „Mehr-als-menschliche-Welt“. In einem sehenswerten Dialog auf Youtube tauschen sich der Dichter und der Philosoph über ihre Ideen zur Natur aus. Abram geht es um die Überwindung der Sonderstellung des Menschen und die Ausweitung des Bewusstseins über ihn hinaus. Abram und Powers stimmen darin überein, dass die Kategorie von Sinn und Bedeutung nicht etwas nur aus dem Menschen Stammendes ist, Bedeutung sei vielmehr auch „da draußen“. Die Welt habe früher in tausenden von Stimmen gesprochen, in Stimmen der Tiere, aber auch der Pflanzen, wenn der Wind in den Bäumen spielt, bis hin zur grollenden Sprache des Donners. Aber mit der Alphabetisierung habe sich eine Bevorzugung der menschlichen Sprache etabliert, meint Abram, die Natur sei verstummt.
Powers hingegen will die Stellung des Menschen nicht nur kritisieren, sondern auch würdigen. Es geht ihm darum, „den Menschen rehabilitieren“, wie er in einem spannenden Gespräch in der SRF-Sendung Sternstunde Religion sagt. Der Protagonist seines jüngsten Romans Erstaunen (2022) ist ein Astrobiologe, dessen Lebensmotiv die Suche nach außerirdischem Leben darstellt. Seine ganze Hoffnung ruht auf einem neuen, leistungsfähigen Weltraumteleskop (die Anspielung auf das James- Webb-Teleskop ist deutlich). Erst die definitive naturwissenschaftliche Erkenntnis, dass es auch außerhalb unseres Sonnensystems Leben gibt, würde seiner Überzeugung nach zeigen, dass Leben ein universelles Prinzip ist, das im Universum angelegt ist. Was dieser fiktive Wissenschaftler erhofft, hat allerdings eine Kehrseite, die Powers durchaus begrüßt: Denn mit der Entdeckung außerirdischen Lebens wäre ein weiteres Mal – nach der kopernikanischen Revolution und Darwin – die Position der Einzigartigkeit des Menschen erschüttert, weil wir uns in der Unermesslichkeit des Alls nicht mehr als allein lebensfähige Form fühlen dürften. Genau diese Destruktion des menschlichen Selbstbilds ist aber nach Überzeugung von Powers nötig, weil es die Idee der menschlichen Einzigartigkeit in der Schöpfung gewesen sei, welche die Voraussetzungen der leidvollen Ausbeutungsgeschichte durch den Menschen geschaffen habe. Nur naive und potenziell politisch radikale Kreationisten würden sich noch dieser Einsicht verschließen, lautet eine der untergründigen Botschaften seines Romans. Diese Haltung wirkt angesichts von Klimakrise und Artensterben angemessen und bescheiden – aber trifft sie auch wirklich zu?
Fragwürdige Schuldzuschreibungen
Wie viele andere bilanziert auch Powers die Ausnahmeposition des Menschen nur von ihren Schäden her. Aus der Idee der Gottesebenbildlichkeit hätten wir die Gottgleichheit und unseren Anspruch auf die Dienstbarmachung der anderen Wesen abgeleitet. Hier wird insbesondere meist auf das Wort „macht euch die Erde untertan“ aus der Genesis verwiesen. Das Ergebnis dieser „höheren Weisung“ sei der inzwischen verheerende Zustand des Planeten. Bereits in den 1960er-Jahren hatte der Wissenschaftshistoriker Lynn White diesen vermeintlichen Gottesauftrag als Wurzel der ökologischen Krise erklärt. Gerade im Kontext der jüngeren ökologischen und klimatischen Katastrophe ist immer wieder zynisch auf das Bild vom Menschen als „Krone der Schöpfung“ verwiesen worden – ein Wort übrigens, das sich so in der Bibel gar nicht findet und das sich eher aus dem klassischen Darwinismus herleiten dürfte. Auch abgesehen davon ist diese Schuldzuschreibung jedoch fragwürdig. Denn trotz jenes „Auftrags“ aus der Genesis verhielten sich die von der biblischen Tradition geprägten Menschen bis ins 19. Jahrhundert ganz überwiegend nachhaltig gegenüber der Umwelt. Die karbonbasierte Industrialisierung, Ackergifte im Boden, Plastik in den Meeren, rücksichtslose Massentierhaltung und andere Phänomene sind erst aufgetreten, als die moderne Naturwissenschaft und Technik die Möglichkeiten dazu bereitstellte – und nicht etwa, weil religiöser Missionsdrang maßgeblich war.
Dennoch wird das Wort von der angemaßten Spitzenposition in der Evolution weiter gern polemisch gegen den Menschen gewendet. Schöpfung ohne Krone heißt beispielsweise ein Plädoyer der amerikanischen Soziologin Eileen Christ, das 2020 im Oekom Verlag erschienen ist. Sie sieht die Lösung der ökologischen Krise in einem radikalen Zurückfahren der Globalisierung und einem konsequenten Bioregionalismus. Sie plädiert außerdem (ohne die Mittel dazu zu nennen) für eine deutliche Verringerung der Weltbevölkerung auf zwei Milliarden Menschen und eine umfassende Renaturierung des Planeten Erde. Das Verhältnis von Zivilisation und natürlichen Schutzräumen solle umgedreht werden: In Zukunft soll es die Menschheit sein, die in „Reservaten“ lebt. Naturschutz auf Kosten des Menschen?
Wirkliche Verbundenheit
Wie ließe sich der Zustand der Getrenntheit überwinden, ohne uns Menschen auszuschließen? Wir können den Faktor Mensch nicht ausklammern oder verleugnen. Auch die radikalsten Umweltschützer:innen, die dem Menschen jedes besondere Recht auf der Erde absprechen, verhalten sich noch typisch menschlich und sind überzeugt, die Interessen von etwas Größerem zu vertreten. Sie denken und leben gemäß dem, was uns Menschen auszeichnet, nämlich der Möglichkeit, ein Leben entsprechend einem reflektierten moralischen Selbstverständnis zu führen, etwas, das sich – wie er Philosoph Markus Gabriel gezeigt hat – so nirgends in der Natur finden lässt. Wenn ökologisch denkende Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen die berechtigten Interessen auch von nicht-menschlichen Lebewesen vertreten, tun sie das als Menschen und verhalten sich damit anders als andere natürliche Wesen, denen ja die globale Dimension der Bedrohung gar nicht bewusst werden kann. Und der oben erwähnte Philosoph David Abram engagiert sich für die Mehr-als-menschliche-Welt, indem er dies gerade als Mensch tut, welcher dieser Welt des „Mehr-als-Menschlichen“ eine Stimme gibt, wenn sie in unserer globalen Zerstörungszivilisation unterzugehen droht.
Es bedeutet etwas für die gesamte Struktur der Welt, dass es ein solches Wesen gibt, das Verantwortung für das Ganze übernehmen kann. Der Mensch und das Phänomen des menschlichen Bewusstseins, indem die Natur sozusagen selbst bewusst wird, gehört selbst als sinnhafter Faktor zur Natur. Er ist aber bisher der große blinde Fleck sowohl der empiristischen Naturwissenschaften als auch der menschenkritischen Ökologie.
Was ökologisch engagierte Menschen heute unternehmen ist selbstverständlich verdienstvoll, selbst wenn sie sich dabei nicht der Rolle des Menschen in der Welt bewusst sind. Auch der zu Anfang zitierte Erzähler Richard Powers ist ja kein kalter Naturwissenschaftler: Neben seiner Kritik an der Sonderstellung des Menschen erklärt er in der Sternstunde Religion immerhin auch: „Der Mensch mit seinem immensen Potenzial für Mitgefühl, Verbundenheit und Beziehung ist wunderbar, sonst würde ich nicht versuchen, die Menschen in der Welt mit meinen Geschichten zu rehabilitieren. Der Mensch hat unendliche Fähigkeiten zu verstehen, zu wachsen, zu integrieren und sich zu verändern und die Welt zu hegen und wiederherzustellen.“ Das zu betonen ist genauso wichtig wie die durch den Menschen verursachten Schäden anzuprangern. Powers ist ein Beispiel dafür, wie der Mensch zwar auch Naturwesen ist, aber eben nicht nur: er geht darüber hinaus, indem er sich der Schöpfung annimmt und sich um sie sorgt, aus dem Gefühl der Verbundenheit heraus. Gerade als Literat spricht er Dinge aus, welche die Bäume selbst nicht äußern können. Der Mensch als Stimme der Natur – dies wäre ein weiterführender Ansatz.
Eine Kultur der Verbundenheit mit der Natur kann es jedenfalls nicht um den Preis der Menschenfeindlichkeit geben. Wir brauchen vielmehr eine humanphilosophisch vertiefte Ökologie. Einer der stärksten Keime dazu liegt in der Anthroposophie, welche den Menschen sogar als verborgenes Ursprungsmotiv des Kosmos beschreibt – ähnlich wie das zum Beispiel auch die jüdische Mystik (“Adam Kadmon”), der christliche Visionär Teilhard de Chardin und andere auf je eigene Weise beschreiben. Philosophisch hat neuerdings Markus Gabriel mit seiner humanistischen Unhintergehbarkeitsthese dazu passend festgestellt, dass wir gar nicht anders können, als bei allen Gedanken und Handlungen vom Menschen auszugehen. Demzufolge „ist der Mensch als geistiges Lebewesen die unhintergehbare Ausgangslage jeder ontologischen Untersuchung“, wie Gabriel in seinem Werk Fiktionen (2020) feststellt.
Ein wichtiger Gedanke noch zum Schluss: Die Idee der Einzigartigkeit nicht nur des Menschen als Gattung, sondern jedes einzelnen Repräsentanten ist darüber hinaus – glücklicherweise! – eine historisch hart erkämpfte und bis ins Rechtlich-Soziale hinein verankerte ethische Basis menschlicher Würde. Wenn es darum geht, der Natur mehr Rechte zuzuschreiben, gilt es diese Sonderstellung des Menschen zu inkludieren und nicht zu destruieren. Die Würde des Menschen und die der Natur sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen – sie bilden zwei Perspektiven derselben Wirklichkeit. ///
Dieser hier leicht überarbeitete Text erschien in der Ausgabe 10/2022 der Zeitschrift info3.