Herr Thurn, wie sind Sie als Filmproduzent zu den Themen Biolandwirtschaft und Ernährung gekommen?
Ich kam dazu über das Problem der Lebensmittelverschwendung, wozu ich 2011 den Kinofilm Taste the Waste gemacht habe. Das hatte aber bei mir auch einen biografischen Hintergrund, und zwardurch die Erfahrungen meiner Mutter, die nach dem Krieg für drei Jahre als Deutschstämmige in einem Lager in Jugoslawien war und den Hunger am eigenen Leib erfahren hat; ihre eigene Mutter ist in diesem Lager gestoben. Für meine Mutter war Essen heilig und Wegwerfen von Lebensmitteln galt als Sünde. Das war bei ihr immer sehr präsent – und zugleich wuchs ich selbst eben als Kind einer Wohlstandsgesellschaft auf.
Ihre neueste Produktion widmet sich der Geschichte des Bio-Anbaus in Europa, mehr historisch als emotional.
Ja, das ist eine historische Dokumentation. Ausgangspunkt ist die spannende Tatsache, die kaum jemandem bewusst ist, dass es Bio tatsächlich jetzt schon hundert Jahre lang gibt. Ich fand es spannend, dass eigentlich ein Outsider, Rudolf Steiner, der ja gar kein Landwirtschaftsexperte war, damit begonnen hat. Heute hört sich manches von dem, was er gesagt hat, gewiss etwas krude und esoterisch an, aber er hat doch enorm wirksame visionäre Gedanken gehabt, beispielsweise das Prinzip der Kreislaufwirtschaft, das er der Natur abgeschaut hat. Über seinen geistigen Hintergrund werden manche sagen: „Bleib mir weg damit“, andere werden dieses Spirituelle gerade schätzen, aber wie man es auch beurteilt, er hat eine Bewegung angestoßen, die dann, vor allem in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, die ganze Bio-Bewegung stark beeinflusst hat, auch wenn diese nicht esoterisch ausgerichtet ist. Dass es Demeter bis heute gibt, ist eigentlich unglaublich. Diese Menschen haben den höchsten Bio-Standard etabliert.
In den zurückliegenden Jahren haben die etablierten Medien und das Fernsehen fast immer sehr negativ über alles Anthroposophische und auch über Demeter berichtet. Wie haben Sie das wahrgenommen?
In der Zeit der Pandemie gab es tatsächlich viele pauschalisierende, wenig differenzierende Beiträge zum Thema Anthroposophie. Das fand ich zu kurz gegriffen.
Ihr Film dagegen versteht sich als Dokumentation, man kann sich selbst ein Urteil bilden, ohne warnende Stimme aus dem Off.
In vielen Diskussionen im Vorfeld wollte ich genau dieses vermeiden. Es war mir wichtig, dass nicht der Blick auf die Leistung verstellt wird, die hinter Demeter steht. Ich bin kein Anthroposoph und der Drehbuchautor auch nicht, wir fremdeln mit manchem, was Steiner so formuliert hat, aber wenn man diese Leistung von Demeter nicht beachtet, dann hat man etwas Großartiges, was das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat, versäumt. Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft etwa ist heute zentral für alles, was wir in der nachhaltigen Wirtschaft in Zukunft erreichen müssen, bis hin zur Wiederverwertbarkeit von Nährstoffen – all das hat mir Kreisläufen zu tun.
Sie und Ihr Team haben sich auch vor Ort ein Bild gemacht und den biodynamischen Dottenfelderhof besucht. Was waren da Ihre Eindrücke?
Ich habe auch andere Demeter-Höfe besucht und festgestellt, dass die Bewegung durchaus eine Verschiedenartigkeit hat, das scheint mir gut so. Und wir haben natürlich auch normale Biohöfe besucht, aber Demeter stach eben heraus, zum einen durch diese hundertjährige Geschichte und zum anderen auch durch die vielfach weitergehenden Standards, zum Beispiel die hohen Anforderungen ans Tierwohl.
In dem Film ist sehr viel historisches Dokumentationsmaterial verarbeitet, mehr als aktuelle Aufnahmen aus der Landwirtschaft. War das so gewollt?
Ja, das ist Teil des Konzepts, weil es auf Arte gleichzeitig noch eine mehr auf die Gegenwart bezogene Produktion geben wird, unsere Aufgabe war es tatsächlich, diese hundertjährige Geschichte zu zeigen.
In Ihrem historischen Überblick wird noch einmal besonders deutlich, wie massiv nach dem zweiten Weltkrieg der Weg in die industrielle Landwirtschaft mit immer mehr Kunstdünger und bedenkenlosem Einsatz beispielsweise von DDT eingeschlagen wurde.
Man darf nicht vergessen, dass die Fabriken, aus denen nach dem Krieg die Düngemittel kamen, ursprünglich für militärische Zwecke und für die Sprengstoffherstellung verwendet wurden, was schon nach dem ersten Weltkrieg ähnlich war.
Ihr Film wurde für das ZDF und für Arte produziert; das ZDF zeichnete sich zuletzt ebenso wie die ARD durch sehr kritische Produktionen zum Thema Anthroposophie aus; in Frankreich – Arte ist ja ein deutsch-französisches Projekt – hat Anthroposophie sogar einen besonders schweren Stand in den Medien. Gab es deswegen Probleme in der Abstimmung mit der Programmleitung?
Nein, wir haben da ausreichend redaktionelle Freiheit, insbesondere beim ZDF, das hier federführend war. Ein journalistisches Prinzip lautet ja: „Höre immer auch die andere Seite.“ Und hier mussten natürlich Demeter-Akteure selbst zu Wort kommen. Dass wir den einseitigen Weg, den andere Medien in den letzten Jahren gegangen sind, nicht weitergehen wollten, hat mit mir zu tun; ich habe das Projekt dieses Films so angeboten wie ich es für richtig hielt und es ist angenommen worden.
Die Kritik hatte ja viel mit der Corona-Problematik zu tun …
… ja, und natürlich gab es unter Anthroposophen eine gewisse Impf-Skepsis, wobei noch die Frage wäre, ob da tatsächlich so viel weniger Menschen geimpft waren. Aber aus dieser Thematik eine generelle Wissenschaftsfeindlichkeit abzuleiten, da bestehen für mich ein paar Fragezeichen. Es gibt ja tatsächlich auch vieles, was Wissenschaft nicht leisten kann. Ich finde, mehr Offenheit und eine Diskussion hätten uns in der Coronazeit gut getan; dass da eine ganze Lebenshaltung wie die Anthroposophie in eine Richtung gedrängt wurde, in der sie sich selbst gar nicht sieht, fand ich äußerst unschön. Andererseits muss man auch sehen, dass die Sender nicht als Monolithen funktionieren, am Ende stehen in den Redaktionen immer noch Menschen dahinter und gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien gibt es für uns Filmschaffenden erfreuliche Freiheiten. ///
Filmtipp: Die Bio-Revolution
Der Film Die Bio-Revolution ist eine Dokumentation zur Geschichte der biologischen Landwirtschaft. Bei den Wurzeln nimmt die biologisch-dynamische Landwirtschaft breiten Raum ein. Ausführlich schildert der Film ihre Gründung, dokumentiert aber auch die bedauerliche Kooperation von Teilen der Demeter-Bewegung mit dem NS-Regime. Für die Gegenwart werden die Demeter-Praxis auf dem Dottenfelderhof und auf der ägyptischen Sekem-Farm gezeigt. Zur Sprache kommen auch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) in der Schweiz und die ökologische Landwirtschaft an der Universität Kassel. Bio-Pioniere und Aktivisten aus Deutschland und Frankreich tragen persönliche Akzente bei.
Die deutsche TV-Premiere ist am 26. November um 21:40 Uhr auf Arte, anschließend verfügbar in der Arte-Mediathek. Die Bio-Revolution wurde auch auf dem diesjährigen NaturVision Filmfestival 2024 und in einigen Programmkinos gezeigt. Das Schweizer Fernsehen SRF zeigt die Doku am 11. Februar 2025. Im kommenden Jahr wird der Film auch auf ZDF.info zu sehen sein.
Deutschland 2024, 52 Minuten. Produktion: Valentin Thurn, Buch und Regie: Marvin Entholt
Mehr zu den Filmen von Valentin Thurn: www.thurnfilm.de