Gefühlte fünf Minuten vor Corona bin ich als Schweizer auch Deutscher geworden. Dank der Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft hatte ich mich dazu entschlossen, Bürger auch dieses Landes zu werden, in dem ich über die Hälfte meines Lebens zugebracht hatte, um endlich auch hier wählen zu können. Gerne bekannte ich mich per Unterschrift zum Grundgesetz und auch dazu, hier nicht terroristisch tätig werden zu wollen.
Bald danach, für mich damals folgerichtig, trat ich bei den Grünen ein. Diese Partei stand meinen eigenen Überzeugungen am nächsten. Sie war eine Alternative für die in die Jahre gekommen, alten, leicht angestaubten Volksparteien. Ich teilte die Bedeutung der großen Themen Pazifismus, Ökologie und Menschenrechte und freute mich über das aufstrebende Personal. Annalena Baerbock und Robert Habeck, Hand in Hand im Wahlkampf, zwei dynamische Sympathieträger, die auch dadurch auffielen, dass sie in ganzen Sätzen und sogar Nebensätzen sprechen konnten und denen es gelang, eine Politik zu formulieren, in der sich auch die besorgte, für die Umwelt protestierende Fridays-for-Future-Jugend wiederfinden konnte.
Dann kam Corona und damit traten meine ersten Zweifel an der Partei auf. Die Grünen, vor allem der unsägliche Janosch Dahmen, forderten immer härtere Maßnahmen und deren Durchsetzung und versuchten, die ohnehin ängstlich-rigorose Politik Angela Merkels und der Regierungsparteien auf der Über-Ich-Seite zu überholen. Naja, dachte ich, Oppositionspolitik halt.
Nach einem fulminanten Wahlkampf wurde meine Partei in der Ampelkoalition selbst zur Regierungspartei und trug die Corona-Politik nicht nur mit, sondern forcierte sie. Vermeintliche Sicherheit ging vor Freiheit, Menschenrechte und Bürgerrechte wurden geschleift.
Dann kam der russische Krieg gegen die Ukraine. „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“, hatte die Partei drei Minuten zuvor noch im Wahlkampf plakatiert. Jetzt schlug die Stunde des ebenso unsäglichen Anton Hofreiter! Er forderte nicht nur Hilfe und Unterstützung für das angegriffene Land und seine Flüchtenden, was ich selbstverständlich teilte, sondern immer schwerere Waffen, per sofort, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach dem Motto: ich bin Pazifist, außer es ist Krieg, dann bin ich Bellizist. Warnende Stimmen wie die des Philosophen Jürgen Habermas oder des Soziologen Harald Welzer und des Philosophen Richard David Precht, die beide genau das über die Entwicklung des Krieges voraussagten, was heute eingetroffen ist, wurden medial in die Tonne getreten. Der eigene Kanzler wurde immer wieder nötigend unter Druck gesetzt, als gälte es nicht, besonnen abzuwägen und auch die weiteren Interessen Deutschlands im Auge zu behalten. Habeck setzte mit verblüffender politischer Instinktlosigkeit das Heizungsgesetz in den Sand und baute das Flüssiggas-Terminal auf Rügen. Baerbock trat, als führende Diplomatin Deutschlands, leider völlig undiplomatisch international in Klassensprecherinnen-Manier auf.
Dann bin ich ausgetreten, wie inzwischen ja viele andere auch. Den Grünen bin ich nicht mehr grün. Meine Euphorie für die doppelte Staatsbürgerschaft und den Beitritt zu den Grünen ist längst verflogen. Meine Stimmung und die Stimmung im Land haben sich seit 2018 radikal verändert. Nach meinen Erfahrungen werde ich vermutlich nicht mehr in eine Partei eintreten. In welche auch? Ich finde die Frage schwierig genug, welche ich überhaupt wählen soll. Aber eins werde ich auf jeden Fall tun: wählen.