Echsenmenschen und Globuli

Foto: pixabay

Ist die Bio-Szene per se anfällig für Verschwörungsideologien? Und ist daran auch die Anthroposophie „schuld“, die schließlich für viele Bio-Pioniere ein wichtiger Bezugspunkt ist? Dieses Bild vermittelt zumindest die mediale Debatte um Joseph Wilhelm, Chef des Naturkost-Herstellers Rapunzel, der als „Corona-Leugner“ an den Pranger gestellt wird.

Corona polarisiert. Was so manche*r in seinem persönlichen Umfeld erlebt, spiegelt sich auch gesamtgesellschaftlich und natürlich auch medial wider – aktuell zum Beispiel sichtbar an verschiedenen Artikeln und Kommentaren zur Positionierung von Joseph Wilhelm (66), Chef des Biolebensmittel-Herstellers Rapunzel. Wilhelm, seit vielen Jahren auch der biodynamischen Szene eng verbunden, hatte sich in den vergangenen Wochen auf der Unternehmenswebsite in persönlichen Statements kritisch zum gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie geäußert. So bezeichnete er etwa Kontaktbeschränkungen, Sicherheitsabstand und Mundschutzmasken als unangemessene Maßnahmen, kritisierte eine mögliche Impfpflicht und hat dabei wohl, wie er inzwischen einräumt, in manchen Passagen einen unangemessenen Tonfall getroffen. In früheren Jahren hatte die Firma Rapunzel außerdem mit dem veganen Promi-Koch Attila Hildmann kooperiert, der mittlerweile mit wirren Thesen auf Corona-Demos für Aufsehen sorgt. Das alles fliegt Wilhelm und der Firma Rapunzel nun um die Ohren. Rapunzel hat die entsprechenden Texte Wilhelms inzwischen von der Website genommen, er selbst einige Aussagen relativiert (hier seine Stellungnahme).

„Menschenverachtend und populistisch“ seien die von Wilhelm verbreiteten „Mythen über das Coronavirus“, schrieb die taz unter der Headline „Der Märchenerzähler“. T-online berichtete ebenfalls ausführlich über den „Skandal“, der dazu führen könne, dass Rapunzel-Produkte aus deutschen Reformhaus- und Bioladen-Ketten verschwinden könnten („Weitere Läden erwägen Verkaufsstopp für Rapunzel-Produkte“). „Zwischen Ethik und Esoterik” titelte das sozialistische neue deutschland : Innerhalb ökologisch orientierter Unternehmen seien eine anthroposophische Weltanschauung und auch Verschwörungstheorien „weit verbreitet“ (Helmut Zanders Aussage über die Anthroposophie als „esoterische Großmacht“ darf hier natürlich nicht fehlen). Relativ unaufgeregt fallen dagegen die Darstellung und ein Kommentar auf dem Branchenportal Biohandel.de aus: Joseph Wilhelm sei kein Verschwörungstheoretiker, sondern folge lediglich auch in Zeiten der Pandemie seinem Verständnis von Natur. Er bemühe „weder fremde Mächte noch Merkel und Gates“, auch in die „rechte Ecke“ gehöre er nicht gestellt. („Joseph Wilhelm ruft Empörung hervor“).


Plumper Rundumschlag: „Macht Bio wirr?“

In der Folge dieser Diskussionen legte die taz dann nochmal nach und untersuchte den Zusammenhang von gesunder Ernährung und „kruder Ideologie“ – herausgekommen ist ein reichlich plumper Rundumschlag in Sachen Corona-Verschwörungstheorien, Bio-Szene und Anthroposophie. „Glaube an Echsenmenschen und Globuli“ werden munter in einen Topf geworfen und ihre vermeintliche Verbindung „ideengeschichtlich“ untermauert, schließlich entstamme alles Alternative in Deutschland, egal ob links oder rechts verortet, aus der „gleichen Ursuppe“, nämlich aus der Opposition gegen das Kaiserreich.

So bedenkenswert diese historischen Bezüge grundsätzlich sein mögen (unselige Allianzen in Sachen brauner Esoterik sind schließlich schon länger bekannt), bilden sie doch eine recht dünne Grundlage für die hier angeführte Argumentation: Menschen, die Impfungen kritisch sehen, Homöopathie schätzen oder vermeintlich weihevoll „Schrumpeläpfel“ im müffelnden Bioladen kaufen auf der einen Seite, auf der anderen Attila Hildmann, der über die Weltverschwörung schwafelt, oder gar Hitler, der die Vorzüge der Rohkost-Ernährung preist – warum da groß differenzieren? Auch die Ergebnisse einer Umfrage in der veganen Community, der zufolge eine überwältigende Mehrheit Verschwörungstheorien und rechtsideologisches Denken ablehnt, werden zwar zitiert, stören aber nicht weiter den Argumentationsfluss. Dass es im alternativen und auch im anthroposophischen Milieu durchaus eine Affinität zu Verschwörungsideologien gibt, lässt sich leider nicht bestreiten (eine ältere Stellungnahme dazu hier) – aber so undifferenziert wie in diesem Artikel wird man dem Thema kaum gerecht.

Dieser Text erschien auch im wöchentlichen BEWEGUNGSMELDER der Zeitschrift info3, einer regelmäßigen Medienübersicht, die man hier kostenlos abonnieren kann.

Über den Autor / die Autorin

Laura Krautkrämer

Info3-Redakteurin seit 2009. Verantwortet seit 2011 den wöchentlichen Newsletter Info3-Bewegungsmelder, der Nachrichten rund um Anthroposophie, Waldorfpädagogik und andere Praxisfelder zusammenstellt und kommentiert. Als freie PR-Texterin und -Beraterin ebenfalls im anthroposophischen Umfeld tätig.