Das Buch beginnt mit einem Prolog, der die erste längere Begegnung zwischen den beiden Frauen nacherzählt. Sie fand 1904 in Berlin statt, anlässlich eines Gesprächs mit Rudolf Steiner, um das Ita Wegman wegen ihres künftigen Medizinstudiums Rat suchend gebeten hatte. Marie Steiner war dabei und beriet mit. Der Ton ist angeschlagen: Es wird in dem Buch um zwei emanzipierte und engagierte Frauen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gehen, die durch ihre Verbindung mit Rudolf Steiner zueinander in Beziehung traten.
Die ersten hundert von 250 Seiten widmen sich dann der Entwicklung der beiden Frauen bis etwa 1902, dem Zeitpunkt, zu dem beide Rudolf Steiner begegnen. Ita Wegmans Kindheit auf Java wird anschaulich beschrieben, ihre Entwicklung zwischen Ostasien mit einer natur- und alltagsnahen Spiritualität, in die Ita tief eintaucht, und dem bildungsgesättigten Europa, wo sie als Jugendliche einige Jahre verbringt. Durchsetzungs- und führungsfähig schon als Kind, sucht sie lebensfreudig ihren Weg, auf dem die damalige von Blavatsky geprägte Theosophie schon früh eine Rolle spielt, und der sie zunächst zu einer Ausbildung als Gymnastiklehrerin und Heilgymnastin führt.
Mehr als Ita – von beiden Frauen ist in dem Buch immer mit Vornamen die Rede –, die in einem Unternehmer-Haushalt aufwächst, muss sich Marie in Petersburg gegen die konventionellen und militärisch geprägten Erziehungsideale ihrer Eltern durchsetzen; schon früh tauchte sie in Dichtung, Literatur und Theater ein, mehr an der Sprache als an der Handlung interessiert. Eine intensive Suche führt auch sie durch Europa: Sollte sie Schauspielerin werden? Damit waren die Eltern natürlich gar nicht einverstanden. Als sie es doch versucht, scheitert sie, die von Gunna Wendt als hochsensibel charakterisiert wird, trotz deutlicher Begabung an den Ansprüchen des Theater-Betriebes. Erst durch die Bekanntschaft mit dem französischen Theosophen Édouard Schuré und seinen Theaterstücken findet sie, wonach sie im Innersten suchte.
Das alles malt Gunna Wendt farbig aus, sie bezieht zeitgeschichtliche Umstände wie den starken Vulkanausbruch auf Java oder ein Attentat auf Zar Alexander II. ein und schildert die beiden Personen so, dass ihre späteren Charaktere und Fähigkeiten verständlich werden. Dabei stützt sie sich auf sämtliche einschlägige Literatur, die man im Literaturverzeichnis findet und die sie gelegentlich im Text erwähnt, Einzelnachweise aber fehlen, so dass sich nicht alle Details prüfen lassen.
Im weiteren Verlauf schleichen sich dann durchaus Ungenauigkeiten ein, falsche Buchtitel (Steiners Autobiografie heißt Mein Lebensgang, nicht „Mein Werdegang“), die Behauptung, der Münchener Kongress 1907 sei als „Pfingstkongress der Theosophie“ in die Geschichte eingegangen, oder die Trennung von der Theosophischen Gesellschaft sei erfolgt, weil Steiner bei der Gründung des Orden des Stern des Ostens außen vor geblieben sei. Das schmälert aber das Gesamtbild der beiden Frauen, das Gunna Wendt entwirft und das von großem Respekt getragen ist, nicht.
Medizin und Mysterientheater
Im Weiteren wird dann ausführlich Ita Wegmans medizinischer Werdegang in Zürich bis 1921 und die Gründung der ersten anthroposophischen Klinik in Arlesheim bei Dornach beschrieben, ebenso wie Marie Steiners Anteil beim Entstehen von Sprachgestaltung, Eurythmie und vor allem dem Mysterientheater, das mit von ihr angefertigten Übersetzungen von Schurés Dramen begann. Die Verhältnisse und Streitigkeiten nach Steiners Tod 1925 behandelt Gunna Wendt nur kurz, und erst das letzte Kapitel des Buches ist dem Verhältnis der beiden Frauen zueinander gewidmet – die im Untertitel angesprochenen „Konkurrentinnen“ kommen also eigentlich gar nicht vor. „Dass dieses Verhältnis ein schwieriges gewesen sein muss, liegt auf der Hand, und das nicht erst, seit der erkrankte Rudolf Steiner aus der ehelichen Wohnung in der Villa Hansi auszog, um sich in die – medizinische – Obhut Itas zu begeben. Für Marie wohl ein nur schwer auszuhaltender Zustand“, schreibt Gunna Wendt und fährt fort: „Doch sie wusste, dass die Liebe zu einem Mann wie Steiner eine war, die über die unmittelbare Beziehung von Mensch zu Mensch hinausreichte. Wenn man ihn liebte, musste man gleichzeitig seine Mission, seine Arbeit lieben, denn er war damit untrennbar verbunden. Und das taten beide Frauen – auf ihre jeweilige besondere Weise.“
Diese Passage lässt die große Achtung spüren, die Gunna Wendt ihrem Sujet entgegenbringt, sie durchzieht das ganze Buch, und weil sie sich wirklich ein Bild gemacht hat von den Persönlichkeiten und Verhältnissen und diese zum Leben zu erwecken vermag, folgt man ihr gerne – auch zu Anschauungen, die in der anthroposophischen Biographik sonst eher ungewöhnlich sind. So schreibt sie, Rudolf Steiner habe Marie „den Auftrag [erteilt], Mitglieder zurechtzuweisen und unbequeme Anordnungen zu kommunizieren“ und leitet daraus ab, dass „er sich selbst nicht dazu in der Lage sah. Über das Maß an Konfliktfähigkeit, das dazu notwendig war, verfügte er offensichtlich nicht.“ Das ist eine interessante Perspektive, die sich wohl ergibt, wenn man Marie Steiner und Ita Wegman nicht über Rudolf Steiner definiert, sondern sie als eigenständige, emanzipierte und originelle Persönlichkeiten ansieht. So erkennt die Autorin auch eine gewisse Bewunderung Steiners für die beiden Frauen: Ita „brachte ‚ihre Ideen bis ins Wirtschaftliche hinein auf die Erde‘, wofür Rudolf Steiner sie bewunderte. Bei Marie war es das Organisationstalent, das ihm ähnlich imponierte.“ Ansonsten hält sich Gunna Wendt mit eigenen Urteilen und vor allem Spekulationen zurück, was das ganze Buch in ein gediegenes Licht rückt.
Westliche Spiritualität
Um Anthroposophie geht es nicht explizit, sie ist aber allgegenwärtig, und manches wird mit großer Selbstverständlichkeit und ohne weitere Erklärungen erzählt, zum Beispiel, dass Ita Wegman nach ihrer Aufnahme in die Esoterische Schule Schwierigkeiten beim Meditieren hatte – aha, das gehört also auch zum anthroposophischen Leben. Schön ist auch eine Passage über den „Erzengel Michael als Verwalter der kosmischen Intelligenz. Er verkörperte die Lebensbejahung. Michael fordere dazu auf, ‚bis in unsere Gedanken hinein aktiv‘ zu werden“ – eines der seltenen Steiner-Zitate, die Gunna Wendt bringt. Überhaupt weist sie wiederholt darauf hin, dass es sich bei der von Steiner vertretenen Theosophie und Anthroposophie um eine westliche spirituelle Strömung handelt, die im Unterschied zu anderen theosophischen und spirituellen Strömungen heute „nachhaltig in der Gesellschaft verankert ist“. Auch für die anthroposophische Medizin bricht sie eine Lanze.
Man muss sich schon sehr gut in den Biografien von Ita Wegman und Marie Steiner auskennen, um in diesem flüssig geschriebenen Buch nichts Neues zu entdecken. Ob das Buch auch außerhalb der anthroposophischen Szene eine Leserschaft findet, bleibt abzuwarten. Immerhin hat sich Gunna Wendt mit Doppelbiografien von Frauen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits einen Namen gemacht und ermöglicht mit ihrem lesenswerten Buch einen originellen Seiteneinstieg in anthroposophisches Leben. ///