Interview
Die Landwirtschaft wird in der aktuellen Diskussion immer wieder als ein wesentlicher Mit-Verursacher der Klimakrise bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Die industrielle Landwirtschaft ist ganz klar ein Mitverursacher. In dem Konzept planetarer Grenzen von Rockström ist die Landwirtschaft an vier von ihnen bei der Überschreitung beteiligt: Bei der Einbringung neuer Substanzen wie Pestiziden oder Herbiziden, bei der Einleitung von Stickstoff und Phosphat in die Gewässer, beim Ausstoß von CO2 und Methan in die Luft, und bei der Änderung der Landnutzung, Waldabbau, Flächenversiegelung und so weiter.
Sind da konventionelle und Bio-Landwirtschaft gleichermaßen beteiligt?
Die Landwirtschaft, die voll industrialisiert ist, arbeitet nicht mehr mit Kreisläufen. Dass Kühe Methan ausstoßen, ist so lange kein Problem, wie die Kühe an den Boden gebunden sind und ihr Futter vom Hof selbst beziehen. Methan zerfällt nach einigen Jahren zu CO2, und das wird in den Futterpflanzen des Hofes wieder gebunden. Wenn aber Futter womöglich von weither zugekauft und mit viel fossiler Energie produziert und transportiert wird, gibt es eine negative Energiebilanz; bei einer Kreislaufwirtschaft nicht. Heute ist für die ganze Landwirtschaft eigentlich die zentrale Frage, ob man eine energieneutrale Kreislauf-Landwirtschaft hat oder ob man sehr viel Input von außen bekommt, Kunstdünger, Pestizide, Futter, die mit fossilen Energien produziert wurden. Dann holen wir viel mehr CO2 aus dem Boden, als in der Landwirtschaft wieder gebunden wird.
Was machen denn die Pestizide und Herbizide in der Landwirtschaft?
Das sind alles Gifte, und die zerstören die Kreisläufe. Herbizide sind natürlich dazu da, um die Unkräuter zu zerstören. Aber sie fördern voll-resistente Unkräuter. Das heißt, wir haben immer weniger Vielfalt an Unkräutern, aber dafür drei oder vier Arten, die voll resistent sind. Dann braucht man immer mehr Glyphosat zum Beispiel. In Argentinien, hat mir eine Kollegin berichtet, wird genmanipuliertes Soja angebaut – das aber resistent ist gegen Glyphosat. Es wird jedes Jahr mehr gespritzt, heute mit Flugzeugen, und die Landarbeiter bekommen Krankheiten – das ist eine unglaublich schlimme Situation.
Für den Klimawandel ist aber das größere Problem der Stickstoff-Dünger. Der braucht ein bis drei Prozent der Weltenergie, um produziert zu werden, was relativ viel ist nur für diesen Stickstoff-Dünger. Aber man kann ihn nicht anders produzieren zur Zeit. Darüber wird aber kaum geredet. Und der Stickstoff-Dünger trägt, weil er in die Gewässer gelangt, dazu bei, dass die Vielfalt und die natürlichen Kreisläufe auf den Höfen abnehmen und ihre Resilienz zerstört wird – die Höfe sind überhaupt nicht mehr stabil.
Wie steht es denn um die Symptome des Klimawandels?
Die Temperatur erhöht sich, das ist klar. Aber was die Landwirte ganz konkret erleben, ist nicht so sehr die Erwärmung – die erleben sie auch, zum Beispiel sind die Früchte und im Weinbau die Reben viel früher reif, oder der Wein hat zu viel Zucker und damit auch zu viel Alkohol, man überlegt sogar, ob man nicht Wasser in den Wein kippen soll, denn bei über 14 Prozent Alkoholgehalt wird er eigentlich untrinkbar. Aber was die Landwirte tagtäglich erleben, ist etwas anderes: an einem Tag minus fünf Grad, am nächsten Tag 15 Grad plus. Und das ist natürlich für die Pflanzen sehr schwierig. Oder ein Monat Dürre mit großer Trockenheit, und danach Unmengen von Wasser – der Niederschlag von einem ganzen Jahr in ein paar Tagen. Und selbstverständlich zerstört das den Boden, der bei zu viel Feuchte oder Trockenheit nicht mehr atmen kann. Im Erleben hat man den Eindruck: Jedes Element spielt allein, nicht mehr mit den anderen zusammen, als ob es entfesselt wäre. Ein gutes Klima ist ja Teamarbeit zwischen den Elementen: es ist warm, aber nicht zu heiß, es kommt ein kleiner Regen, aber fein, mit Luft, nicht zu kräftig, und der Boden kann das wirklich gut aufnehmen, wenn das Wasser so kommt. Das heißt, die Elemente müssen richtig zusammenspielen.
Seit wann beobachten Sie diese Veränderungen?
Seit zehn, 15 Jahren, aber in den letzten drei bis fünf Jahren hat es sich noch einmal radikalisiert. Und darunter haben alle Landwirte zu leiden, ganz konkret.
Boden, Wasser und Wärme sind betroffen – wie steht es um die Luft? Gibt es mehr oder heftigere Stürme?
In der Bretagne haben kürzlich alle Gemüsebauern durch einen Sturm ihre Glashäuser verloren. Der Sturm hatte über 200 Stundenkilometer. Dazu Nässe oder Dürre – einige Bauern sind wirklich am Verzweifeln. Und seit einiger Zeit ist das Licht blendend, sehr hell, nicht mehr umhüllend. Claude Monet hat mal gesagt: „Wenn ich das Licht male, versuche ich das Umhüllende des Lichtes zu malen.“ Das Licht hat die Qualität, eine Ganzheit, einen Lebenszusammenhang zu schaffen und alles zu umhüllen. Aber heute ist das nicht mehr so, es ist so grell, es blendet, und konkret für die Landwirtschaft heißt das, dass zum Beispiel die Früchte verbrannt sind. Und die Kollegen berichten, dass sie sich viel mehr schützen müssen mit Sonnenhut und Brille.
Also: Die Elemente spielen nicht mehr zusammen, jedes Element wird so stark, dass es ganz allein wirkt, sehr kräftig. Nicht mehr aufeinander bezogen, sondern zerstörend. Sie haben etwas Dämonisches. Amitav Ghosh, der indische Schriftsteller, beschreibt einmal einen Orkan, in dessen Mitte er war. Und er hatte den Eindruck, da ist wirklich ein Auge des Orkans, er wird angeschaut, von einem Wesen berührt.
Das ist eine erschreckende Perspektive. Was kann man da tun? Gibt es einen spirituellen Zugang zum Umgang mit den Elementen, an dem jeder sich wirksam beteiligen kann?
Jeder kann sich fragen: wenn ich in meinem Leben mit den Elementen zu tun habe, wie kann ich versuchen, sie wirklich ernst zu nehmen, sie in ihrem Wesen zu erkennen? Das macht übrigens auch Spaß, beim Spazierengehen etwa: Was erlebe ich am Bach und wie kann ich mich damit verbinden? Der erste Schritt ist, die Elemente anzuerkennen in ihrem eigenen Wesen. Was ist das Wesen des Wassers? Was möchte das Wasser? Fließen. Und wenn ich das ernst nehme, kann ich auch in meinem kleinen Garten einen Platz für das Wasser schaffen, wo das Wasser sich ausdrücken kann. Es ist so verrückt heute, das Wasser ist ständig in einem Käfig, in den Leitungen und Kanälen, und es möchte sich doch in Mäandern, Strudeln und Schleifen bewegen, sich mit der Luft vermischen, es möchte immer in Kontakt mit den anderen Elementen kommen – und heute ist das Wasser unter der Erde, in einer großen Stadt hat das Wasser nirgends Platz. Und wenn man sich dann vorstellt, man ist selbst das Wasser, bekommt man Mitleid. Die Birs, die hier durch Dornach fließt, ist zum Teil begradigt und zum Teil renaturiert. Ich war neulich auf der Brücke im Naturschutzgebiet, und ich habe in die Richtung geschaut, wo die Birs renaturiert ist, und da ist so eine Freude! Und die andere Seite macht mich traurig. Man muss auch seine Gefühle ernst nehmen, und sich zugleich innerlich frei von jedem Vorurteil machen, und dann geht man zu einem Landschaftsplatz und schaut: Was passiert mit mir – habe ich Freude? Bin ich müde? Bin ich lebendig, erfrischt? Meine Gefühle sind wirklich eine Spiegelung von dem, was da draußen lebt.
Wie sieht das aus mit der Luft?
Dass man sich Zeit nimmt, um die Wolken anzuschauen, da verbinden sich Wasser und Luft. Und eine gute Übung ist, was der Info3-Autor Stefan Ruf anregt: In der Früh das Fenster aufmachen, und nun spüren: Wie ist die Stimmung heute, wie ist die Luft, wie ist die Atmosphäre, auch in die Höhe und in die Weite? Sich damit verbinden! Und ich würde sagen, auch innerlich grüßen: Guten Morgen, Luft! Guten Morgen, Wasser! Dass man wirklich innerlich diese Verbindung schafft, das wäre für jeden gut. Und für die Erde: Füße auf den Boden, wo es keinen Asphalt und keinen Beton gibt, mal barfuß gehen, wie ist die Erde? Auch mal blind laufen: Wie spüre ich die Erde unter meinen Füßen? Und auch ein Dankbarkeitsgefühl entwickeln. Und fragen: Oh, der Boden ist hier so dicht, was ist mit ihm los? Oder: oh, es wird ganz leicht. Also einfach Beziehung aufnehmen!
Und das wirkt nach außen?
Ich denke schon. Es wirkt in der Welt der Elemente, und es verändert meine Beziehung zur Natur.
Die Natur wird dadurch ein Gegenüber, ein Du, das man nicht mehr einfach so ausbeuten kann.
Und was noch hinzukommt: Die Elemente kommen selber von sich aus nicht richtig in Beziehung miteinander, sie brauchen das Lebendige dafür, die Pflanzen. Das sieht man in den hohen Bergen. Da hat man sehr starke Winde, das Wasser vom Bach, Steine – aber es ist wenig Verbindung. Sobald ein wenig Moos oder Flechten da sind, wird das Wasser gebremst, Erde bildet sich darunter, fruchtbarer Boden, die Luft wird gebremst. Jetzt sehen wir, was das beste Werkzeug ist, um ein besseres Klima zu bekommen: mit der Natur, mit den Pflanzen arbeiten. Weil die Pflanzen einfach die Elemente zusammenbringen und sogar verinnerlichen und ihre Substanz daraus bilden. Die Kunst ist, dass man für jedes Element schaut, wie man es so stark wie möglich in Beziehung zu den anderen bringt.
Was können die Landwirte in dieser Beziehung tun?
Sie können beim Boden zum Beispiel mit einer Hügel- oder Dammkultur arbeiten, das wird gemacht bei Feldgemüse. Dadurch wird die Erde erhöht, es gibt eine stärkere Verbindung zwischen Luft und Boden und der Boden wird lebendiger. Das erklärt Steiner auch im Landwirtschaftlichen Kurs. Und wie kann man die Luft bremsen? Durch Bäume. Die Bäume kämmen die Luft. Das ist auch bei Hecken so. Bei einer Wand wird die Luftströmung noch verstärkt. Um das Goetheanum herum oder am Montparnasse-Turm in Paris, 300 Meter hoch, windet es immer. Um die Luft zu bremsen, braucht man Hecken, Bäume, die wirken wie ein Kamm, und die Luft wird gezähmt, so, dass sie wieder mit den anderen Elementen zusammenarbeitet. Es gibt so viele verschiedene Beziehungen zwischen Erde und den Säften, und Luft und Licht — eine Vielfalt! Jede Pflanze verbindet Himmel und Erde auf eine andere Art, es ist ein anderes Gespräch. Das schafft Beziehungen, Zusammenhänge zwischen unten und oben, und zwischen allen Elementen. Sie werden wieder eingebunden, und das ist der Anfang von Steiners Idee des landwirtschaftlichen Organismus: wirklich Zusammenhänge neu schaffen. Dafür sind die Pflanzen das Werkzeug.
Was macht so einen landwirtschaftlichen Organismus aus?
Ein Beispiel: Steiner erklärt im Landwirtschaftlichen Kurs etwa Folgendes: Wenn ihr auf dem Hof Auen habt, feuchte Wiesen, das ist wunderbar. Und wenn ihr die nicht habt, müsst ihr solche Auen anlegen, damit die sogenannten Schädlinge, Pilze und Mikroorganismen, alle Wesen, die organische Substanz bearbeiten und verwandeln, damit sie da einen Platz haben. Dann werden sie weniger Schädlinge in den Feldern haben, weniger Krankheiten. Soweit Steiner. Man hat aber immer umgekehrt gedacht. Man hat alle diese Feuchtgebiete entwässert, weil man gedacht hat, da sind die Schädlinge drin und da kommen sie her! Wenn man nun den Weinbauern sagt, ihr müsst Teiche anlegen, dann sagen sie, du bist verrückt! Wir wollen doch kein Nest von Schädlingen und Krankheitskeimen haben. Dann sage ich: 70 Prozent der Teiche sind verschwunden, aber die Pilzkrankheiten sind gestiegen. Es ist gar nicht so, dass wir weniger Pilzkrankheiten haben. Es scheint, dass Steiner vielleicht doch recht hatte. Ich nenne das das Willkommensprinzip: jedes Wesen soll einen Platz auf dem Hof haben! Aber ich muss ihm auch einen Platz geben. Und wenn ich ihm einen Platz gebe, dann wird es sich nützlich machen und weniger Probleme verursachen.
Wir haben eine Studie, die zeigt, dass die Reben der biodynamischen Winzer resistenter gegen Trockenheit sind. Daran entstand die Frage: Woher kommt das? Man hat dann gefunden, dass die Mikroorganismen im Boden viel besser zusammenarbeiten, besser vernetzt sind.
Da muss man auch erstmal drauf kommen, danach zu suchen! Welche Rolle spielen dabei die Präparate, die in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft eingesetzt werden?
Die Präparate fördern Zusammenhänge. Weil wir die Naturreiche verbinden – das ist ja der Trick der Präparate. Beim Hornkiesel-Präparat, da kommt das Mineral Kiesel in ein Horn vom Tier, und das kommt dann in den Boden und wird der Sonne ausgesetzt, den Jahreszeiten und den Elementen. Jedes Präparat ist eine Mischung aus den Elementen und den Naturreichen Mineral, Pflanzensubstanz und tierische Hülle. Wir schaffen damit neue Zusammenhänge. Und die brauchen wir.
Also sind die Präparate kleine Kunstwerke, künstlerische Interventionen?
Zusammenhänge neu schaffen geht nur, wenn man auch ästhetisch arbeitet, wenn man wahrnimmt, wie man eine harmonische Landschaft komponieren kann, mit den Elementen, mit den Pflanzen, wenn ich nicht nur utilitaristisch denke, sondern wieder ästhetisch wahrnehme. Der landwirtschaftliche Organismus wird gesund, wenn er Vielfalt hat …
… Monokulturen sind ja auch nicht wirklich schön …
… wenn wir wieder Zusammenhänge schaffen, und wenn er gesund ist, dann produziert er auch gut. Und fördert ein gutes Klima! ///
Dieses Interview erschien in der Märzausgabe 2024 der Zeitschrift info3. Das Heft mit dem Titelthema “Alles Eins – die Natur und ich” kann hier bestellt werden.
Die zitierten Studien über die Resistenz der Reben gegen Trockenheit und die Zusammenarbeit der Mikroorganismen im Boden finden sich hier und hier.
Jean-Michel Florin, geboren 1961, ist in der Landwirtschaft groß geworden und hat Landwirtschaft und Naturschutz studiert. Er unterrichtet und berät, koordiniert den biodynamischen Verein in Frankreich und ist seit 2010 tätig in der Leitung der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum/Schweiz.