Die Homöopathie-Szene wurde kürzlich kräftig durchgeschüttelt, als Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine Pläne offenlegte, Anthroposophische Medizin und Homöopathie nicht mehr als Satzungsleistungen von den Krankenkassen erstatten zu lassen. Diese Regelungen sollen im Rahmen einer Änderung des ironischerweise „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“ genannten Gesetzes in Kraft treten. Wann und ob das Gesetz kommt, ist allerdings nach wie vor ungewiss – zwar beteuerte Karl Lauterbach vor kurzem erst wieder, dass es „jetzt schnell gehen“ werde, aber aus Politik-Insiderkreisen hört man, dass es fraktionsübergreifend massiven Gegenwind gegeben hat. Was würde aber die Gesetzesänderung konkret bedeuten und welche Argumente werden ins Feld geführt?
Der Mensch ist mehr als sein Körper
Homöopathie ist über 200 Jahre alt und erfreut sich heute großer Beliebtheit: Über 60 Prozent der über 16-jährigen Deutschen wurden schon einmal homöopathisch behandelt. In der Homöopathie geht es darum, durch hochpotenzierte Wirkstoffe eine Lösung von Krankheitsursachen zu erreichen. Begründer Samuel Hahnemann stellte sie den „allopathischen“ Arzneimitteln gegenüber, also Medikamenten, die nicht durch das verdünnte „Gleiche“ heilen, sondern durch einen anderen Wirkstoff (von griechisch allos, anders). Außerdem wird mit homöopathischen Medikamenten angestrebt, die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers zu stimulieren (gewissermaßen Fieber durch Fieber zu heilen), während zum Beispiel Paracetamol, das zur Linderung von Schmerzen und Fieber eingesetzt wird, direkt auf die zugrundeliegenden Symptome wirkt.
Homöopathische Behandlungen beschränken sich aber keinesfalls nur auf die Gabe der hochpotenzierten Globuli, sondern sind in ein umfassendes Therapiesetting eingebunden: Aufwändige Anamnesen und Gesprächstherapieangebote gehören ebenso dazu wie Unterstützungen bei Lebensstilveränderungen und die Verordnung von Angeboten wie Biografiearbeit, die auf die Persönlichkeit im Ganzen wirken.
Um den ganzen Menschen geht es auch der Anthroposophischen Medizin: Sie geht auf Rudolf Steiner und Ita Wegmann zurück und ihr Kernanliegen ist, den Menschen als ganzheitliches Wesen zur Grundlage der Medizin zu machen. Zur Anthroposophischen Medizin gehören neben der Gabe von Homöopathika und anderer natürlicher Arznei auch Heileurythmie, Kunst- und Maltherapie, Musiktherapie, Rhythmische Massage und vieles mehr. Gerade das Verständnis vom Menschen als einem Wesen, das über den physischen Körper hinaus seelisch-geistig angeschaut werden muss, macht die Haltung der Anthroposophischen Medizin aus.
Gute und schlechte Nachrichten
„Die Homöopathie passt nicht in eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik“, äußerte Gesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich. Darum solle sie auch nicht mehr als Satzungsleistung von den Kassen übernommen werden. Die Kosteneinsparungen würden nur bei 20 bis 50 Millionen Euro liegen, was gegenüber den 300 Milliarden Gesamtausgaben der Krankenkassen vernachlässigbar ist. Es geht also ums Prinzip! Wer rein materialistisch denkt und eher die Interessen großer Pharmakonzerne vertritt, dem ist die Homöopathie ein Dorn im Auge – und das bedroht die Existenz einer ganzen Szene von Therapeut:innen und Patient:innen.
Die gute Nachricht ist: selbst wenn das Gesetz käme, wäre dies wohl nicht das Aus für sämtliche Erstattungen durch die Kassen. Nach derzeitiger Einschätzung würden anthroposophische und homöopathische Satzungsleistungen wegfallen. Das sind freiwillige Leistungen der Kassen, zum Beispiel für Medikamente und Therapien, die bis zu einem Maximalbetrag erstattet werden. Zu den Satzungsleistungen gehören auch zahlreiche andere Therapieformen, zum Beispiel Sonnenbaden, Eutonie, Kryotherapie und Irisdiagnostik. Es erscheint willkürlich vom Gesundheitsminister, jetzt nur die anthroposophischen und homöopathischen Satzungsleistungen herauszugreifen und abschaffen zu wollen.
Ein Großteil der Behandlungen in diesem Bereich wird bisher über Direktverträge zwischen Kassen, Ärzt:innen und Patient:innen erstattet, die wohl durch das Gesetz unangetastet bleiben würden. Außerdem gibt es noch Sonderregelungen: Bis Kinder zwölf Jahre alt sind, muss die Krankenkasse die Kosten für homöopathische Medikamente übernehmen und für 30 schwerwiegende oder lebensbedrohende Krankheitsbilder werden nach derzeitigem Stand auch weiterhin die Kosten erstattet. Dennoch wäre es ein schlechtes Signal, wenn die Satzungsleistungen für diese Therapierichtungen wegfallen, zumal gar nicht klar ist, ob nicht doch einige der anderen Regelungen vom Gesetz betroffen sein werden. In Frankreich wurde 2021 durchgesetzt, Homöopathie insgesamt nicht mehr zu erstatten, in anderen Ländern sieht es ähnlich aus.
Ein unsinniges Gesetzesvorhaben
Für eine derartige Gesetzesänderung spräche jedoch wenig. Zunächst ist Homöopathie beliebt, 60 Prozent der Deutschen befürworten sie laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2023. Ärzt:innen und Patient:innen wenden sie mit großem Erfolg an. Der Gesundheitsminister greift in den freien Willen dieser Menschen ein, beschneidet die Therapiefreiheit, spricht ihnen ab, als mündige Bürgerinnen und Bürger selbst über ihren Körper entscheiden zu können. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar von 2018 ist es der großen Mehrheit der Deutschen (80 Prozent) wichtig, bei der Wahl ihrer Arzneimittel mitentscheiden zu können. Das stellen Befürworter der Gesetzesreform aber gar nicht in Abrede, ihnen geht es nur um die Übernahme der Kosten aus der Versichertengemeinschaft: Die Leute sollen Homöopathika anwenden dürfen, sie dann aber gefälligst selbst bezahlen. Allerdings werden homöopathische Medikamente bereits heute meist privat bezahlt, anders als das ausführliche Patientengespräch und andere Leistungen im Rahmen der homöopathischen Behandlung, deren Wirkungslage weit weniger umstritten ist als die der homöopathischen Arzneimittel.
Schaut man genauer auf das Kostenargument, wird das Gesetz noch unsinniger: es ist verbrieft, dass Homöopathie insgesamt kosteneffektiver ist als die konventionelle Medizin, weil weniger Krankenhausaufenthalte und Arzneimittel nötig sind, weniger Krankentage im Beruf entstehen und so gut wie keine Nebenwirkungen auftreten. Genau das könnte auch ein Grund für den heftigen Gegenwind sein, welcher der Homöopathie entgegenschlägt. Laut Stefan Schmidt-Troschke, Arzt und Geschäftsführer des Patientenverbands Gesundheit aktiv, gebe es eine Tendenz, nach der das ökonomische Verwertungsinteresse in der Medizin vielfach wichtiger sei als die Orientierung am Menschen. Medikamente und aufwändige Diagnostik, an der Dritte kräftig dazuverdienen, würden zwischen Arzt und Patient geschaltet: „Der Laborarzt verdient bei uns am meisten, das ist der Arzt, der nie Patienten sieht und der am meisten Geräte vorhalten muss. Dann kommt der Radiologe mit viel technischer Ausrüstung, dann erst die High-end-Fachärzte, vor allem diejenigen mit vielen Gerätschaften.“ Homöopathie und Anthroposophische Medizin stellen demgegenüber das Menschliche in den Mittelpunkt: die helfende Haltung, die den Menschen mit seiner persönlichen Perspektive ernst nimmt, sich für seine Krankengeschichte Zeit nimmt und ihn wirklich in seiner Situation verstehen will. Das soll nun aber durch das Gesetz geschwächt werden. Chronisch Kranke, multimorbide Personen, Frauen, die für bestimmte Autoimmunerkrankungen anfälliger sind, greifen auf Homöopathie zurück, weil schulmedizinische Behandlungen womöglich keinen Erfolg gehabt haben oder zu starke Nebenwirkungen aufgetreten sind und sie nur noch durch Komplementärmedizin Hoffnung auf Linderung behalten. Ein Miteinander aus konventioneller und komplementärer Medizin, das sich auch in den Erstattungsregelungen der Krankenkassen niederschlagen würde, wäre für die Patient:innen sicher das Beste.
Aktiv werden
Das Bündnis „Weils hilft!“, das Gesundheit aktiv ins Leben gerufen hat und bei dem der Kneipp-Bund und Natur und Medizin, beteiligt sind, vertritt die Gesundheitsinteressen von 220 000 Bürger:innen. Es setzt sich für eine Stärkung integrativer Medizin ein, also der wechselseitigen Befruchtung von konventioneller Medizin und Naturmedizin. „Weil’s hilft!“ hat im März eine Petition beim Bundestag eingereicht, in der gefordert wird, die geplante Gesetzesänderung zurückzunehmen. Binnen vier Wochen haben alleine online knapp 60 000 Menschen unterschrieben, so dass das nötige Quorum für eine Anhörung im Bundestag erreicht wurde. Noch nicht eingerechnet sind die Stimmen aus zahlreichen handschriftlichen Unterschriftenlisten. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Bundestagsabgeordnete aus dem eigenen Wahlkreis anzuschreiben. Zusätzlich werden Videostatements von Prominenten und Ärzt:innen und Patient:innen gesammelt und es wird weiter versucht, eine breite Öffentlichkeit für das Thema zu gewinnen.
Für Stefan Schmidt-Troschke ist die Petition jedoch nur Startschuss einer Bewegung hin zu einer menschlicheren Medizin: „Viele Menschen, die unsere Petition unterzeichnet haben, haben über Jahre eine gewisse Gesundheitskompetenz aufgebaut, sie wollen weniger mit Medikamenten intervenieren und haben gelernt, wie man mit schwierigen Symptomen und Situationen umgeht. Meiner Ansicht nach macht man einen fundamentalen Fehler, wenn man diesen Menschen nicht zuhört, weil sie oft wesentliche Erfahrungen mitbringen.“ Die selbstbestimmte Therapiewahl für alle, unabhängig von ihrem Geldbeutel, wäre ein Gebot einer demokratischen Gesundheitspolitik, die sich an mündigen Menschen orientiert. Die Petition sei dabei „ein Meilenstein auf dem Weg einer Gesundheitsbewegung, die etwas mit Selbstermächtigung von Bürgern, Versicherten, Patienten zu tun hat, mit Menschen, die sich auf den Weg machen und auf Augenhöhe mit denjenigen kommen wollen, die das professionell machen.“
Solange Karl Lauterbach über die Köpfe von Ärzt:innen und Patient:innen hinweg bestimmen möchte, bewegt sich die Gesellschaft jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die besonderen Therapierichtungen wie Homöopathie und Anthroposophische Medizin haben einen schweren Stand – womöglich geht es als nächstes anderen Therapien der Naturmedizin an den Kragen. In der realen Versorgung hat Homöopathie einen großen Nutzen für unzählige Ärzt:innen und Patient:innen – selbst wenn manche Zweifel an der Wirkungslage hegen, hilft sie tagein tagaus Tausenden Menschen. „Diese Realbedingungen werden viel zu wenig untersucht und ich würde mich bei gesundheitspolitischen Entscheidungen, bei denen es auch um Ressourcen geht, vor allem an dem orientieren, was in der realen Welt tatsächlich bei den Patienten ankommt“, fasst Schmidt-Troschke das Dilemma zusammen, in dem die Homöopathie politisch steckt. Die aktuelle Situation könnte ein Weckruf für die Homöopathie sein, einerseits ganz für sich einzustehen, ihren besonderen Nutzen proaktiv in den Vordergrund zu rücken, und andererseits eine umfassende Gesundheitsbewegung zu inspirieren, die wirklich den ganzen und gesunden Menschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. ///
Dieser Text erschien in der April-Ausgabe der Zeitschrift Info3 zum Thema “Umkämpfte Homöopathie”.
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Informiert bleiben über die Petition und weitere Aktionen: www.weils-hilft.de