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Rechtsextremismus: Wenn der Geist gen rechts driftet

Demo für "die Wahrheit". © kreuzzeichen.blogspot.de - Info3 Verlag 2018
Demo für "die Wahrheit". © kreuzzeichen.blogspot.de - Info3 Verlag 2018

Der gesellschaftliche Rollback erfasst zunehmend die Mitte. Selbst bislang maßvolle Intellektuelle sprechen teilweise wie „besorgte Bürger“ und solidarisieren sich mit Pegida & Co.

Spätestens seit diesem Frühjahr ist evident, was viele sich lange Zeit nicht vorstellen konnten: der offene Eintritt von Intellektuellen für Positionen, die den Rahmen des Konservativen sprengen. An vorderster Front mit dabei sind Menschen, deren Namen lange Zeit einen großen und ungetrübten Glanz ausstrahlten, darunter der Literat Uwe Tellkamp („Der Turm“), der Philosoph Rüdiger Safranski (mit seinen bekannten Biographien zu Heidegger, Schiller und anderen) sowie der Autor und Journalist Matthias Matussek.

Wer sich schon länger mit dem Phänomen beschäftigt, konnte bei Rüdiger Safranski und Matthias Matussek diese Entwicklung seit Jahren beobachten. Safranski, der kürzlich im Magazin „Der Spiegel“ davon sprach, dass es „keine Pflicht zur Fremdenfreundlichkeit“ gebe, zog bereits Ende 2015 in der „Weltwoche“ wie folgt über die von ihm so titulierte „Europa-Ideologie“ her: „Ein Großteil der politischen Elite und der reflektierenden Öffentlichkeit in Deutschland sah darin ein Mittel, um den anrüchigen Nationalismus loszuwerden. Beim Volk ist diese Idee nie wirklich angekommen.“

Der Journalist Alan Posener kommentierte diese Äußerung auf dem Autorenblog „Starke Meinungen“ und schrieb, dass ihm „die Entgegensetzung von ‚Elite‘ und ‚Volk‘“, „unklar“ sei, „es sei denn, Rüdiger will Ressentiments provozieren: ‚Wir sind das Volk!‘ – und die Elite sollte ‚dem Volke dienen‘“. Wenig überraschend hatte Safranski zur etwa selben Zeit die AfD zum Opfer gemacht und in der Sendung „3Sat-Kultuzeit“ behauptet: „Ich befürchte nur, dass die AfD unter diesem Trommelfeuer der Verleumdung an den Rand gedrückt wird.“

Der einst als „Edelfeder“ gefeierte frühere „Spiegel-“ und „Welt“-Journalist Matussek hat sogar einen drastischen Schwenk gen rechts vollzogen. Mittlerweile hat er selbst das „Volk“ für sich entdeckt oder zumindest diejenigen, die er dafür hält. Am 18. März 2018 kündigte er auf „Twitter“ an, sich tags darauf bei der Hamburger „Merkel muss weg“-Demonstration „ans Volk (zu) wenden“. Dort rief er dann vor rund 180 Leuten zum „Widerstand“ auf. Auch zeigt er schon länger offene Sympathien für die vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“.

Interessanterweise waren sowohl Matussek als auch Safranski früher dezidierte Linke und sogar Maoisten. Auch andere ehemalige dezidierte Linke sind über die Jahre ins rechte Lager übergelaufen, darunter etwa Frank Böckelmann, einst aktiv im „SDS“ und Unterstützer der „Subversiven Aktion“. Er hat inzwischen der linken Zeitschrift „Tumult“ einen rechten Ableger verpasst, der im Untertitel als „Vierteljahreszeitschrift für Konsensstörung“ firmiert.

Von links nach rechts gewechselt

Fragt man sich nach den Ursachen, warum kluge Köpfe wie namentlich Safranski und Matussek so werden konnten wie sie heute sind, so kann man sich fragen, ob die juvenile Lust an der Provokation von links im Alter gegen eine solche von rechts ausgetauscht wurde. Und tatsächlich ist es ja so, dass man heute mit linken Parolen kaum noch provokant sein kann, sehr wohl aber mit selbigen von rechts. Ähnlich sieht es bei Henryk M. Broder aus, einem früher gefeierten Polemiker, der erst links, dann im besten Sinne liberal war, aber mittlerweile Kritiker der gleich zu thematisierenden, von der DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld initiierten „Erklärung 2018“ als „angeranzte Gutmenschen“ diffamiert.

In besagter „Erklärung 2018“ wird apodiktisch die Existenz einer „illegalen Masseneinwanderung“ behauptet. Überdies „solidarisieren“ sich die Unterstützer ausdrücklich „mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird“. Bebildert ist das Ganze mit dem sogenannten „Frauenmarsch“, der Mitte Februar in Berlin von dem AfD-Mitglied Leyla Bilge angemeldet wurde. Vom Sujet erfasst sind de facto aber auch die Dresdner Pegida-Demonstrationen.

Safranski hat die „Erklärung 2018“ nicht unterzeichnet, anders als Matussek und Tellkamp. Schaut man sich die Liste der Unterzeichner an, so zeichnen sich ganz unterschiedliche Gründe für ihre Rechtsdrift ab. Nebenbei bemerkt: Schon jetzt jammern manche, die Unterstützer würden zu Unrecht „in die rechte Ecke“ gestellt. Ihnen sei gesagt, dass der neurechte Verleger Götz Kubitschek und damit jemand, der es wissen muss, ausdrücklich vom „Vorhandensein einer Opposition von rechts sogar im intellektuellen Establishment“ spricht. Zudem zählen auch prominente Vordenker der Neuen Rechten wie Karlheinz Weißmann und Martin Lichtmesz zu den Unterzeichnern.

Immer nur Opfer

Tellkamp, der bei einer Debatte mit dem Dresdner Lyriker Durs Grünbein mit rechtspopulistischen Äußerungen auffiel und sich als Opfer gerierte, dessen Meinungen lediglich „geduldet“ würden, zählt zum Dresdner Bürgertum, das traditionell konservativ denkt. Ähnlich wie auch manche ehemaligen Bürgerrechtler, die die Erklärung ebenfalls unterzeichnet haben, neigt dieses Milieu stark dazu, sich abermals gewissermaßen unterdrückt zu fühlen, nur weil die eigenen, zunehmend rechter gewordenen Ansichten auf scharfe Kritik stoßen. Statt anzuerkennen, dass man so nicht mehrheitsfähig ist, flüchtet man sich in eine Opferrolle, obwohl gerade ehemalige DDR-Bewohner eigentlich wissen müssten, wie enorm groß die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik ist.

Last but not least finden sich unter den Unterzeichnern, aber auch weit darüber hinaus in der Gesellschaft, etliche Konservative, darunter christliche Publizisten, die sich – ursprünglich mit einiger Berechtigung – in der CDU heimatlos gefühlt haben, aber leider, bewusst oder unbewusst, längst gen rechts gedriftet sind. Viele von ihnen haben die universalistische frohe Botschaft Jesu Christi längst in ein düsteres Abwehrbollwerk gegen den Islam verdreht. Das wissen viele nicht, die sich etwa davon beeindrucken lassen, wenn sich ein Matthias Matussek in der „Jungen Freiheit“ betont gläubig gibt und sogar Rudolf Steiner als Zeugen bemüht, der „Ostern in einem Vortrag 1908 mit Recht das ‚Mysterium der Zukunft‘“ genannt habe. Man lasse sich davon nicht blenden. ///

 

Buchtipp zum Thema:

Liane Bednarz
Die Angstprediger
Wie rechte Christen Kirche und Gesellschaft unterwandern.
Droemer 2018, € 16,99.

Zu unserer Rezension

 

Über den Autor / die Autorin

Liane Bednarz

Dr. Liane Bednarz ist Juristin, Autorin und Kolumnistin bei „Tagesspiegel Causa“. Darüber hinaus schreibt sie für verschiedene andere Medien. Sie lebt in Hamburg.

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