Glanz und Elend der Faktenchecker

Foto: Marek Pospisil/Unsplash

Das Stimmengewirr der Meinungen im Zeitalter des Internets auf eine faktenbasierte Basis zu stellen – wer wollte diesem Ziel widersprechen? Aber auch sogenannte Faktenchecker präsentieren oft nicht allein Tatsachen, sondern auch eigene Meinungen. Überlegungen zu einem vielleicht etwas zu einfachen Konzept.

Ein bekannter AfD-Abgeordneter pinkelt stehend im Plenarsaal des Bundestages – wie bitte? Ein angeblicher Spiegel-Artikel soll über diesen Skandal informiert haben und tausende Internetnutzer teilen den Link ohne Zögern, weil die Szene zu ihrem Bild dieser Partei passt. Sie alle sind aber nur einem gut gemachten Fake aufgesessen: Die offensichtlich auf Verunglimpfung ausgelegte Fälschung bediente sich zwar eines Spiegel-Artikels, aber nur als Vorlage, die entsprechend umgetextet wurde. Der Spiegel selbst hat nie über einen solchen „Vorfall“ berichtet. Bekannt wurde dieser Fall durch das Portal Mimikama, hinter dem ein unabhängiger Verein steht, der sich schon früh auf die Aufdeckung von Internet-Fakes spezialisiert hat. Trau nicht allem, was du im Internet findest, hatte ja bekanntlich schon Einstein gesagt. Wer unsicher ist, ob bestimmte Äußerungen wirklich von Prominenten und Politikern stammen oder ob Fotos das zeigen, was die entsprechende Bildzuschrift suggeriert, ist gut beraten, sicherheitshalber bei Mimikama nachzusehen.

Das Auftreten von „Faktencheckern“ ist relativ neu und hat während der Trump-Regierung und in der Corona-Krise mächtig an Fahrt aufgenommen. Zahlreiche Medien und Plattformen unterhalten inzwischen eigene Abteilungen, die Nachrichten auf ihren faktischen Gehalt hin prüfen sollen. Faktenchecker gibt es bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den großen Internetdiensten, aber auch kleinere Plattformen wie Correctiv (mehr dazu weiter unten) oder der Volksverpetzer bieten regelmäßig Faktenchecks an. Inzwischen sind weltweit 170 Faktenchecker-Organisationen im International Factchecking Network zusammengeschlossen, das auch Zertifizierungen erstellt, wenn die Faktenchecker für größere Einrichtungen arbeiten wollen. Auch die Politik unternimmt auf vielen Ebenen immer mehr Anstrengungen in Form von Anti-Desinformations-Kampagnen im Netz. In Europa will der Digital Services Act die Internetanbieter zur Bekämpfung von Falschmeldungen verpflichten.

Trends, die nicht sein sollen

All dies sind auf den ersten Blick verständliche Ansinnen. Nicht immer jedoch geht es bei den Faktencheckern um reine „Fakten“, oft hat man auch den Eindruck, dass die Wahrheitssuche von vorgegebenen Zielvorstellungen beeinflusst wird. Ein Beispiel unter vielen war eine vielbeachtete Jugendstudie von Mitte Mai 2024. Sie hatte das Ergebnis erbracht, dass der Anteil junger Menschen, die konservative und sogar rechtsextreme Parteien wählen, überraschend gestiegen ist. Viele Jugendliche zeigten sich demnach auch über den unkontrollierten Zuzug von Migranten besorgt – ein Bild, das so gar nicht zu der vielfach verbreiteten Vorstellung passen wollte, dass junge Leute grün wählen und multikulturell orientiert sind. Das „Datenteam“ des Bayrischen Rundfunks wollte dieses ernüchternde Ergebnis nicht stehen lassen und hat sich die unter Mitwirkung des Allensbach-Instituts entstandene Erhebung genauer angesehen. Verantwortlich für den Check war die knapp 30jährige Redakteurin Sophie Menner, die nach einem Studium und einem Volontariat im Ressort Datenjournalismus der Süddeutschen Zeitung nun für den Bayrischen Rundfunk die Fakten überprüft. Menner kritisierte im Faktencheck einige mutmaßlich methodische Mängel der Studie und verwies auf eine parallel entstandene Umfrage des Eurobarometers, die ein komplett anderes Bild ergeben hatte: „Die meisten, jeweils 14 Prozent, hielten die Themen Maßnahmen gegen den Klimawandel und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für am wichtigsten. Zehn Prozent waren es beim Thema Migration und Asyl. Außerdem sollten sie sich selbst auf einer Skala von links (1) bis rechts (10) einordnen. Im Schnitt verorteten sich die jungen Menschen bei 4,5 – also leicht links der Mitte. Damit schätzten sie sich linker ein als der Rest der Bevölkerung.“ Das Erwartungsschema war wiederhergestellt. Die Ergebnisse der Europawahl vom 9. Juni 2024 kamen dann aber einer regelrechten Ohrfeige für den BR-Faktencheck gleich – „Jugend wählt rechts“, musste nun auch der Sender selbst titeln.

Glyphosat, Gentechnik und Corona-Impfstoffe

Ein weiteres Beispiel: Im Dezember 2022 hatte sich der ARD-„Faktenfinder“ mit dem verantwortlichen Redakteur Paskal Siggelkow der indischen Aktivistin Vandana Shiva und ihrer Kritik an der Gentechnik angenommen (info3 berichtete). Siggelkow zitiert zum Thema Gentechnik nur Experten, die das Ganze im Gegensatz zu Vandana Shiva für unbedenklich halten und konzentriert sich dann auf ihre Darstellung, wonach die Abhängigkeit von gentechnisch manipulierter Baumwolle und der damit verbundenen Teuerung zu zahlreichen Suiziden bei Kleinbauern geführt habe. Shiva belegt diese Einschätzung mit einer wissenschaftlichen Studie Cotton and Farmer suicides in India von 2011. Ohne selbst anderslautende Tatsachen aufzuweisen, behauptet der Faktenfinder, dass es keine Belege für die Aussagen der Aktivistin gibt. Offenbar hat hier überhaupt kein Faktencheck stattgefunden. Und auch ein kurzes Durchscrollen der anderen Themen, die Siggelkow einem Faktencheck unterzogen hat, kann Fragen aufwerfen: Glyphosat soll, selbst wenn Rückstände im Essen nachweisbar sind, gar nicht gefährlich sein, der geplante WHO-Pandemievertrag sei per se unbedenklich und beim Thema Homöopathie heißt es fast schon erwartbar, dass es keine Studien gäbe, die eine Wirksamkeit belegten, was offensichtlich nicht zutrifft. Es ist unschwer zu erkennen, dass sich auch hier hinter dem Anspruch faktenbasierter Information in Wirklichkeit eine Belehrung mit System verbirgt.

Ein letztes Beispiel: Ende Dezember 2023 tauchten Meldungen über Verunreinigungen in den mRNA-Impfstoffen gegen Covid auf. Auch die Neue Züricher Zeitung berichtete darüber: „Vergangenen Herbst ist publik geworden, dass die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 Bruchstücke von bakterieller DNA enthalten. Kanadische Forscher hatten diese in den Corona-Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna entdeckt – und das angeblich in erheblichen Mengen.“ Die Faktenchecker-Abteilung von Correctiv bewertete diese Meldung umgehend als „größtenteils falsch“. Dabei stützt sich die Organisation jedoch ausschließlich auf Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, muss aber sogar selbst zugestehen: „Das PEI prüft die Einhaltung des DNA-Grenzwertes tatsächlich nicht am Impfstoff selbst, die Prüfung begrenzt sich auf die Dokument-Angaben der Hersteller.“ Die kanadische Quelle der Neuen Zürcher Zeitung wurde also gar nicht geprüft – ein Faktencheck fand auch hier eigentlich nicht statt. Im weiteren Verlauf des Textes zeigt sich dann, dass sich auch Correctiv bei der Frage der möglichen Verunreinigungen wesentlich auf Aussagen des Herstellers Pfizer beruft. Hier liegt der Verdacht nahe, dass die Mitarbeitenden bei Correctiv – und das legt gerade auch deren Tendenz in der Corona-Pandemie nahe – ein Interesse daran haben, Zweifel an der Seriosität der Impfstoffe zu zerstreuen.

Nicht unterschlagen werden soll hier, dass die Correctiv-Checker, die als gemeinnützige Organisation mit öffentlichen Geldern und Stiftungen (etwa der GLS-Treuhand in Bochum) unterstützt werden, durchaus auch konstruktive Arbeit leisten, etwa wenn es um die Richtigstellung manipulierter Fotos oder Zitate geht. Dennoch gilt, was das kritische Portal Netzpolitik zum Thema Faktencheck bei Correctiv festgehalten hat: „Dass gerade die Trennung zwischen Meinung und Tatsachenbericht alles andere als trivial ist und selbst Meinungscharakter aufweist“, so Leonhard Dobusch von der Universität Innsbruck auf dem Portal Netzpolitik. Die Reduktion von Informationsinhalten auf reine „Fakten“ ist eben nicht so einfach, wie man sich das oft vorstellt. „Auch Wikipedia-Wissen ist oft falsch oder alles andere als ‚neutral‘“, ergänzt Netzpolitik. Die Folgen können aber durchaus weitreichend sein. So hat etwa Facebook eine Abteilung von Correctiv mit der Faktenprüfung beauftragt und schon bei einer Bewertung als „teils falsch“ wird die Reichweite eines verlinkten Textes drastisch reduziert.

Zwischen Falschmeldung und Meinungsfreiheit

Der streitbare Unternehmer Elon Musk ist nach der im August 2023 erfolgten Übernahme des Nachrichtendienstes Twitter, der nun X heißt, einen anderen Weg gegangen. Als eine der ersten Maßnahmen nach dem milliardenschweren Kauf entließ er die Faktenchecker-Redaktion der Plattform und veröffentlichte die Twitter-Files, die belegen sollen, in welchem Ausmaß Twitter während der Corona-Pandemie regierungskritische Postings zensiert hatte (Faktenfinder Siggelkow hat wie erwartet diesen Schritt von Musk umgehend bei der ARD widerlegt, die Twitterfiles zeigten nichts Neues und würden nur in Verschwörungs-Milieus beachtet). Musk will mit X einen komplett unregulierten Weg einschlagen, der ein getreues Abbild dessen bieten soll, was global in den Köpfen der Menschen vorgeht. Dazu hat er auch viele zuvor gesperrte Accounts (darunter den von Donald Trump) wieder freigeschaltet. Viele Einzelpersonen und Organisationen aus dem eher linken und grünen Spektrum (darunter auch die GLS-Bank und Demeter) haben inzwischen demonstrativ ihre X-Accounts geschlossen, weil hier – über das strafrechtlich Gebotene hinaus – nicht ausreichend korrigiert werde.

Für Musk hingegen ist jede Form von Kontrolle oder Regulation mit dem Ideal der Meinungsfreiheit unvereinbar, das für ihn eines der zentralen Freiheitsrechte darstellt. In einem Interview meinte er sogar einmal, die ungefilterte Darstellung der Position vieler Einzelner, so wie sie auf X möglich sei, sei die eigentlich zeitgemäße Form von Journalismus, weil sich angesichts der vielfältigen Positionen jeder sein eignes Bild machen könne – eine im Sinne der Freiheitsrechte sicher idealistische, aber auch naive Vorstellung, die den Wert echter journalistischer Arbeit verkennt.

Aber auch Faktencheks sind oft von wirklichem Journalismus weit entfernt. Sie helfen in der Regel nur bei sehr einfachen Phänomenen wie Foto-Fälschungen oder falschen Zitaten, bei komplexeren Themen wie Corona-Impfungen, dem Ukraine-Krieg oder Migration geht es um Inhalte, in deren Beurteilung immer auch ethische und politische Werthaltungen hineinspielen, die notwendigerweise über das bloß Faktische hinausgehen. Eine rein „faktenbasierte“ Politik kann es nicht geben. Deshalb bleibt auch der im Augenblick so angesagte „Kampf gegen Desinformation“ eine zwiespältige Angelegenheit, so ehrenwert er auch klingen mag. Denn eine eindeutige Grenzlinie zwischen Fakten auf der einen und Meinungen auf der anderen Seite gibt es am Ende nicht, eigene Haltungen spielen immer in einen Text hinein – was im Übrigen selbstverständlich auch für diesen Artikel hier gilt. ///

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 9/2024 der Zeitschrift info3.
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Über den Autor / die Autorin

Jens Heisterkamp

Jens Heisterkamp, geboren 1958 in Duisburg, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er studierte an der Ruhruniversität Bochum Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie und wurde 1988 zum Dr. phil. promoviert. Nach der Begegnung mit der Anthroposophie lernte er während seines Zivildienstes die Heilpädagogik kennen und arbeitete als Dozent in der Erwachsenenbildung, kurzzeitig auch als Waldorflehrer, dann als Herausgeber und Autor. Seit 1995 ist er verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift info3 sowie Verleger und Gesellschafter im Info3 Verlag in Frankfurt am Main. Seine Themen sind Dialoge in Religion, Philosophie und Spiritualität, Offene Gesellschaft, Ethik.