Als wir Christian Vagedes, den Vorsitzenden der Veganen Gesellschaft Deutschland, und Martin von Mackensen, Dozent für bio-dynamischen Landbau und Herr über eine vielköpfige Milchkuh-Herde auf dem Dottenfelder Hof, zu einer Begegnung einluden, waren wir auf ein Streitgespräch gefasst, bei dem es zu vermitteln gelten würde: die Ablehnung jeglicher Landwirtschaft mit Tieren auf der einen, das Festhalten an der Notwendigkeit von Tierhaltung und Schlachtung auf der anderen Seite – mit den dazugehörigen gegenseitigen Vorwürfen. Was stattdessen passierte, war etwas anderes: ein respektvolles Aufeinanderzugehen, ein Betonen des Verbindenden gegenüber dem Trennenden und eine spürbare gemeinsame Verantwortung für ein zukünftiges Verhältnis von Tieren und Menschen zum Wohl der ganzen Erde.
Die Gesprächspartner:
Martin von Mackensen (im Folgenden M.v.M.) kam durch Joseph Beuys zur Anthroposophie, lebt seit Langem auf dem Dottenfelderhof in Bad Vilbel (bei Frankfurt) und ist dort Leiter der Landbauschule für bio-dynamische Landwirtschaft. Er ist außerdem weltweit als Berater für bio-dynamischen Landbau unterwegs, zuletzt vor allem in China und Italien.
Christian Vagedes (im Folgenden C.V.) lebt in der Nähe von Hamburg, ist Designer, Publizist und Lebensmittelentwickler, gründete die Vegane Gesellschaft Deutschland e.V. und die Zeitschrift Veganmagazin. Er ist Autor des Buches Veg up, Initiator der Veganfach Messe und hat die vegane Lebensmittellinie bedda entwickelt. Er hat sich intensiv mit dem Werk Rudolf Steiners beschäftigt und betrachtet die vegane Lebensweise nicht zuletzt auch als zentrales Thema der Anthroposophie.
In der Landwirtschaft spricht man bis heute von „Nutztieren“, ein Begriff, der aber zunehmend umstritten ist – Christian, wie siehst du das?
C.V.: Für mich ist „Nutztier“ ein fürchterlich belegter Begriff. Denn in dem Begriff „Nutzen“ steckt – wo es doch beim Tier um ein fühlendes Mitlebewesen geht – immer auch das Ausnutzen. Deswegen sind für mich Nutztiere eigentlich Ausnutz-Tiere, die durch das, was wir ihnen abverlangen, nachgewiesenermaßen fürchterlich leiden.
Schließt das Tierhaltung grundsätzlich aus?
C.V.: In der Form, wie wir sie heute betreiben, ja – was aber nicht bedeutet, dass wir uns so einfach aus der Affäre ziehen können.
Wie sieht das für den bio-dynamischen Landwirt aus?
M.v.M.: Ich benutze den Begriff „Nutztier“ nicht, weil er eine Einseitigkeit enthält, die für mich in der Beziehung zu Tieren nicht entscheidend ist. Ich finde es viel vernünftiger stattdessen von „Kulturtier“ zu sprechen, also von einem Tier, mit dem wir als Menschen eine Beziehung eingegangen sind und das ohne diese Beziehung so gar nicht existieren würde. Das provoziert natürlich die Gegenfrage: Gibt es heute überhaupt noch reine Wildtiere? Da würde ich mit Blick auf die Zukunft sagen, dort, wo wir als Menschen nicht dafür sorgen, wird es schon bald keine Tiere mehr geben.
“Wir können jedenfalls die Tiere, die wir so lange zu unserem Nutzen gehalten haben, nun nicht einfach wegstoßen.” – Christian Vagedes
C.V.: Ich gebe Martin durchaus Recht wenn er sagt, diese Tiere gäbe es ohne uns Menschen gar nicht. Steiner hat einmal sinngemäß gesagt, wir Menschen hätten im Laufe unserer Evolution die Tiere regelrecht herabgestoßen. Sie haben uns dabei vieles gegeben, unter anderem die Möglichkeit, uns auch emotional weiterzuentwickeln. Jetzt können wir uns die Frage stellen, was Steiner damit meinte, wenn er sagte, wir müssen die Tiere auch wieder hinaufziehen? Wir können jedenfalls die Tiere, die wir so lange zu unserem Nutzen gehalten haben, nun nicht einfach wegstoßen. Das wäre zu leicht. Es gibt Veganer, die gegen jede Tierhaltung sind, weil sie grausam sei. Ich meine aber, dass hier tatsächlich der Begriff der Kultur entscheidend ist – und Kultur bedeutet immer Entwicklung. Wie können ehemalige Ausnutz-Tiere Teil einer neuen Kultur werden, in der wir die Tiere in unsere Kommunikation einbeziehen? Das würde für mich zu Steiners Aufforderung passen, die Tiere wieder zu uns hinaufzuziehen. Und wer sollte sich um so eine Aufgabe kümmern wenn nicht die Menschen, die – zumindest im Moment noch – in der Tierhaltung arbeiten? Ich bin zwar selbst gegen Ausnutz-Tierhaltung, auch bei Demeter, aber ich bin dafür, die Sache weiterzuentwickeln in Richtung einer neuen Stufe des Miteinanders in der Evolution von Mensch und Tier.
Im Bio-Landbau und im Tierschutz gibt es den Begriff der Artgerechtheit, in der bio-dynamischen Tierhaltung darüber hinaus noch den Anspruch, Tiere „wesensgemäß“ zu halten – hilft dieses Kriterium weiter?
M.v.M.: Artgerecht ist ja nur ein rein sachliches Kriterium, das etwa aus der physischen Gestalt heraus dem Tier einen speziellen Bewegungs- und Sozialbedarf zugesteht – also festlegt, es nicht zu quälen. Was das Tier wirklich aus seinem Wesen heraus braucht, beschreibt dieser Begriff nicht. Ist es artgerecht, wenn man 500 Kühe zusammen hält und dabei bestimmte Maße im Stall und beim Futter einhält? Ich meine nicht. Es ist sicher wichtig, gewisse Regeln zumindest einzuhalten, aber die Frage ist damit lange nicht erschöpft! Als Landwirt muss ich und will ich jeden Tag freudig mit meinen Tieren zusammenarbeiten – das kann ich zum Beispiel nur bis zu einer bestimmten Anzahl von Tieren.
C.V.: Für mich ist der Begriff „artgerecht“ eine typische Floskel, mit der man ein Thema abschließt, das dann nicht weiter diskutiert wird. Dieser Begriff entspricht weder der „Art“ mitfühlender Wesen – von denen wir ja noch gar nicht so furchtbar viel wissen – noch ist er „gerecht“.
Ein provokanter aktueller Buchtitel lautet: „Artgerecht ist nur die Freiheit“.
C.V.: Was aber wäre dann die Konsequenz? Es wird doch in der Regel gar nicht möglich sein, völlig überzüchtete Tiere einfach wieder auszuwildern. Wo sollen denn all die Rinder hin – das müssten ja riesige Reservate sein, und dann wären wir doch wieder bei der Kultur.
“Ich selbst habe über viele Jahre Rinder geschlachtet. Sie erhalten zuerst einen Bolzenschuss in den Kopf, dann wird die Schlagader geöffnet und die Tiere bluten aus. Ich halte das inzwischen für eine falsche Methode.” – Martin von Mackensen
Wir müssen aber noch über einen anderen, entscheidenden Punkt reden: Auch bei einer größtmöglichen wesensgemäßen Tierhaltung in der Bio-Landwirtschaft steht am Ende der Tod der Tiere, sie werden geschlachtet und gegessen. Und offenbar empfinden immer mehr Menschen einfach Mitleid, wenn Tiere sterben müssen, um gegessen zu werden, vielleicht auch viele von denen, die sich zum Beispiel auf bio-dynamischen Höfen oftmals rührend um Tiere kümmern. Gleichzeitig scheint es so zu sein, dass Tierhaltung nicht möglich ist, ohne die Tiere auch zu töten, weil es zum Beispiel zu viele Kälber in der Milchwirtschaft gibt.
M.v.M.: Ich möchte da noch einmal einen Schritt zurückgehen und von der Schwierigkeit erzählen, sich mit den Tieren Wesen zu nähern, die kein Bewusstsein von sich selbst haben. Das einzelne Tier weiß von sich selbst nichts, es ist reine Präsenz, reine Empfindung im Augenblick. Es ist schwer, sich dem anzunähern, aber es ist möglich, und aus dieser Begegnung heraus müssten wir eigentlich handeln. Ich selbst habe über viele Jahre Rinder geschlachtet. Sie erhalten zuerst einen Bolzenschuss in den Kopf, dann wird die Schlagader geöffnet und die Tiere bluten aus. Ich halte das inzwischen für eine falsche Methode, weiß aber bisher keine bessere Alternative. Was mir aber ganz wichtig erscheint, sind Fragen wie: Kann der jeweilige Mensch, der schlachtet, das verantworten? Und: Wie ist die soziale Struktur, in der das geschieht – wird da einmal in der Woche ein Tier geschlachtet, einmal am Tag oder am Fließband? Denn das sind völlig andere Qualitäten. Eine weitere Frage: Wer schlachtet das Tier eigentlich, wer kann Kontakt mit ihm aufnehmen, wenn das geschieht – zu wem hat denn das Tier Vertrauen, wer kann ihm Sicherheit geben? Doch vor allem der, der es gehalten hat! Ich meine, dass derjenige, der das Tier hält, es auch in den Tod führen muss. Er muss es nicht unbedingt selbst töten, aber dem Tier die Sicherheit auf dem letzten Weg zu geben, das gehört zu seiner Verantwortung.
Das würde das sofortige Ende der Schlachthöfe bedeuten.
M.v.M.: Das wäre doch wunderbar. Fleisch würde dann ein sehr teures Gut und der zum Beispiel auch medizinisch ohnehin fragwürdige, hohe Fleischkonsum würde drastisch zurückgehen. Wir müssen jedenfalls das Thema Tierhaltung und Tod aus der Tabuisierung herausholen.
Kann man denn Tiere noch essen, die man selbst so eng begleitet hat?
M.v.M.: Ich würde sogar umgekehrt sagen: Ich möchte, wenn ich schon Fleisch esse, dann nur noch solches essen, bei dem ich das Tier gekannt und vielleicht sogar selbst zum Metzger gebracht habe. Das hat für mich auch mit Ehrfurcht zu tun.
“Ich finde, es ist die falsche Methode, dass wir überhaupt absichtlich das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken praktizieren.” – Christian Vagedes
C.V.: Martin, du hast die Methoden des Tötens in Frage gestellt. Da gehe ich einen Schritt weiter und finde, es ist die falsche Methode, dass wir überhaupt absichtlich das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken praktizieren, zumal zu einem Zeitpunkt des Weltgeschehens, wo dies nicht nur nicht mehr notwendig ist, sondern es geradezu eine Menschenpflicht wird, den Fleischkonsum aus Gründen der weltweiten Ernährungsgerechtigkeit zu unterlassen. Denn die Fleischproduktion für die Wohlhabenden geht, wie wir alle wissen, auf Kosten der Getreideknappheit für die weniger Wohlhabenden.
Noch einmal konkret in Richtung der bio-dynamischen Landwirtschaft gefragt: Bio-dynamisch einen Hof betreiben, ohne dass dabei Tiere getötet werden, ginge das überhaupt vom Ansatz, von der Methode her?
M.v.M.: Die Frage des Todes ist wirklich zentral. Und da sage ich aus Erfahrung: Eine Kuh am Ende ihres Lebens nicht zu töten, sondern natürlich sterben zu lassen – das würde ich nie, nie wieder tun. Für einen Wiederkäuer ist das fatal; die Kuh verfault praktisch und stirbt einen furchtbar langsamen Tod – das ist der natürliche Tod einer Kuh. Deshalb ist die Frage bei der Tierhaltung für mich nicht, ob Töten oder nicht, sondern: Wie viel Leben wollen wir, wie viel tierisches, beseeltes Leben wollen wir auf einem Hof? Ich bestreite gar nicht, dass wir für unsere Ernährung Tiere nicht mehr brauchen, aber für einen durchlebten und durchseelten Hoforganismus, wollen wir da nicht Tiere? Und ich denke, wir brauchen ein Minimum an Tieren, weil das Tier eine bestimmte Art von Information bis in den Boden hinunter bringt, die keine Pflanze dorthin bringt und die auch kein Mensch dorthin bringen kann.
C.V.: Es geht also nicht um Milchleistung …
M.v.M.: … nein, gar nicht!
C.V.: Und auch nicht um Schubkarren voller Kuhhörner, um auf die Präparate anzuspielen?
“Ganz Mitteleuropa wäre ein einziger Wald ohne Tierhaltung!” – Martin von Mackensen
M.v.M.: Nein, es geht um eine subtile Information, und da ist eine ganz kleine Menge guter Qualität ausreichend. Ein Beispiel: Ein Idealbild für die Landwirtschaft ist das, was wir Schwarzerde nennen, der fruchtbarste Bodentyp auf der Nordhalbkugel der Erde. An ihrer Entstehung sind bestimmte Pflanzen beteiligt, kleine Bodentiere, Nager – und dann natürlich Wiederkäuer! Und was so entstanden ist, davon kann die Menschheit nun schon Jahrtausende leben. Eine andere Perspektive: Ganz Mitteleuropa wäre ein einziger Wald ohne Tierhaltung!
Das heißt, die Tiere wären notwendig für den Menschen und die Landwirtschaft, aber nicht unbedingt, um sie oder ihre Produkte zu essen? Wie viel Tier würde denn da reichen? Es gibt ja auch Verhältnisse in der Bio- und Demeter-Tierhaltung, wo Tiere in großen Massen gehalten werden?
M.v.M.: Das lässt sich nicht allgemein sagen, da kommt es immer auf den Zusammenhang an, besonders auf die umgebende Landschaft. Es gibt Gegenden auf der Welt, die lassen sich nur sinnvoll als Weideland bewirtschaften, weil dort kein Ackerbau möglich ist.
“Man kann zum Beispiel Schafe auch wunderbar als natürliche Rasenmäher halten.” – Christian Vagedes
Da müsste man dann aber wieder schlachten.
C.V.: Nicht zwangsläufig, man kann zum Beispiel Schafe auch wunderbar als natürliche Rasenmäher halten, müsste dann aber die ungebremste Vermehrung eindämmen, durch Sterilisation, wie wir es ja auch sonst bei Haustieren machen. Ich finde es jedenfalls nicht einleuchtend, dass wir in einer Welt, in der die Tiere schon viel länger beheimatet sind als wir Menschen, jetzt die Tiere abschaffen sollten. Wir haben eher die Pflicht, sie in unsere Kultur zu integrieren – das wäre aus meiner Sicht eine vornehme Aufgabe der Demeter-Landwirtschaft. Das würde bedeuten darauf zu verzichten, Tiere zu töten, stattdessen liebevoll mit ihnen umzugehen und an ihnen auch ein wenig wiedergutzumachen, was wir ihnen schon angetan haben über die Jahrhunderte. Das wäre großartig!
Eine konkrete Frage noch an den bio-dynamischen Landwirt: Kann der bio-dynamische Anbau ohne das Töten von Tieren funktionieren?
M.v.M.: Meine Antwort ist ganz klar ja. Biologisch-dynamische Landwirtschaft kann man betreiben, ohne Tiere zu töten, und man könnte die Materialien für die Präparate auch von Tieren gewinnen, die einfach sterben. Ich finde sogar, in manchen Gärtnereien werden Rinder viel besser gehalten als etwa in milcherzeugenden Betrieben, weil da der ganze Rattenschwanz von zu berücksichtigenden Kosten keine Rolle spielt, wie viel Salami bringt die leistungsschwache Milchkuh noch und so weiter. Es gibt da kaum Fluktuation in der Herde, weil die Tiere viel länger im Betrieb bleiben und nicht ständig wechseln, es ist ein ganz anderes Zusammenleben. Deshalb möchte ich eigentlich mehr positiv fragen: Was will ich mit einem Tier, was wird anders, wenn Tiere in der Landwirtschaft dabei sind? Dass wir von der derzeit herrschenden Ökonomisierung der Tierhaltung weg müssen, darin sind wir uns einig.