An alle, die mit Wagner eh nichts anfangen können, die Oper grundsätzlich sterbenslangweilig und für völlig aus der Zeit gefallen halten, an die, die eine Veranstaltung am Goetheanum schon deshalb problematisch finden, weil sie am Goetheanum stattfindet, an die „lieben Freunde und Freundinnen“, die immer besser wissen, wie etwas sein sollte, damit es „zu uns“ und an diesen Ort passt, nämlich anders: Lest nicht weiter, ihr vergeudet eure Zeit.
Allen andern, also euch, die jetzt weiterlesen, will ich von einem einmaligen Gesamtkunstwerk berichten, in dem die Erzählung, die Musik und der Gesang ein besonderes Erlebnis ermöglichen. Neu kommt bei dieser Inszenierung die Eurythmie hinzu, was sich in doppelter Beziehung als überzeugender Kunstgriff erweist. Den heiligen Gral, in welchem das Blut Jesu aufgefangen worden sein soll und die Lanze, die ihm die tödliche Wunde zugefügt hat, auf der Bühne darzustellen, ist eine große Herausforderung. Man erinnert sich mit Grausen an den Kitsch mancher Aufführungen mit einer Gralsschale aus Pappmaché, in der ein rotes Lämpchen flackerte. Die durch eurythmische Gruppen in Bewegung dargestellten Gegenstände werden indessen aus dem Banalen ins Prozessuale gehoben, etwa indem eine Gruppe von Eurythmisten die Schale bildet und von ihr das von oben kommende Licht in fließenden Bewegungen empfangen wird.
Aber nicht nur da erweist sich die Bewegungskunst als kongeniale Erweiterung des Werks. „Zum Raum wird hier die Zeit“, dieser Satz aus dem Parsifal wird real, wenn etwa die Musik des langen Vorspiels eurythmisch in den Raum plastiziert wird. Und die begleitende Untermalung des ausgezeichneten Opernchores durch die Toneurythmie verwebt die Erzählung, den Gesang und das überzeugende Bühnenbild mit der besonderen Licht-Choreografie zu einem ätherisch gewebten, gesamten Teppich. Einmalig! Und wunderbar, wie hier das Goetheanum-Eurythmie-Ensemble und das Eurythmeum Stuttgart zusammenwirken.
Die Sänger wussten durch die Bank zu überzeugen. Hervorheben möchte ich Klaus Florian Vogt, Parsifal, den berühmten Wagner-Tenor, der nur an diesem Abend als besonderer Gast auftrat, Andreas Hörl, der einen würdevollen Gurnemanz gab und Ivonne Fuchs, die einfach Kundry war. Sänger brauchen ja nicht nur gute Stimmen, sondern auch Persönlichkeit, die bei den Genannten voll zum Tragen kam. Erwähnen will ich aber auch den herrlich komödiantischen Thomas Jesatko, der als Klingsor den für das Drama wichtigen bösen Buben gab.
Alle Sängerinnen und Sänger waren gut. Das gilt ebenso für die bestens aufgelegte Philharmonie Baden-Baden und das Vokalwerk der Opernfestspiele Heidenheim. Roland Fister, musikalische Leitung, Jasmin Solfaghari, Inszenierung, Stefan Hasler, Regie Eurythmie und die beeindruckende Zahl aller weiteren Künstler haben hier ein wirkliches Gesamtkunstwerk geschaffen.
Wer weiß, wie hoch subventioniert der Opernbetrieb ist, um überhaupt existieren zu können, der ahnt auch, dass es auch hier nicht ohne erhebliche finanzielle Unterstützung ging. Der Schenkende ist in diesem Fall Alexander von Glenck, selbst Musiker, der auch als Ideengeber und Produzent die Veranstaltung ermöglichte. An alle geht der große Dank des Publikums, der durch den begeisterten, beinahe 15-minütigen Schlussapplaus zum Ausdruck kam.
Nicht unerwähnt darf der reibungslose Ablauf des über fünfstündigen Abends mit der bestens organisierten Pausenverpflegung bleiben. Es war einfach rundum gelungen.
Das ansprechend gestaltete Programmheft deutet es an: In der Parsifal-Erzählung wartet eine erstarrte Gemeinschaft auf den reinen Toren, der die Wunde erkennt und die richtige Frage stellt, die Erlösung vom Schmerz und neuen Fortschritt ermöglicht. Nicht nur äußerlich ist das Goetheanum, das manchmal auch als „Gralsburg“ bezeichnet wird, der richtige Ort, dieses Drama aufzuführen und sich von ihm inspirieren zu lassen.
Am 29. und 30. März 2024 finden zwei weitere Vorstellungen je um 16 Uhr statt. Man munkelt, es gäbe noch wenige Restkarten.