Zusammen halten
Soziale Bindekräfte stärken • Polarisierungen überwinden • Zukunftsbilder entwickeln
Zeitschrift Info3, Ausgabe März 2016
Zusammen halten – das Leerzeichen zwischen den beiden Worten auf dem Titel ist kein Fehler, sondern Absicht. Es geht darum, etwas zu halten, und zwar zusammen, gemeinsam: einen sozialen Grundkonsens vor allem. Manchmal wünscht man sich, dass wir unsere Gesellschaft auf einen solchen Grundkonsens einschwören, ihn politisch von oben herab wie in einem platonischen Philosophenstaat verordnen könnten.
In Wirklichkeit sehen wir in diesen Tagen etwas anderes: Der lange Zeit gültig scheinende Grundkonsens von Menschenrechten, Freiheit und Toleranz wird brüchig. In fast allen europäischen Staaten, in Russland und in der Türkei insbesondere erstarken rückwärtsgewandte, autoritäre Kräfte, aber auch in Deutschland selbst ist es, als braute sich ein Kampf zwischen den Geistern der Freiheit und der autoritären Restauration zusammen. In der Frage des Umgangs mit der Flüchtlingskrise, aber auch im Blick auf den Bestand der Europäischen Union, auf die Fragen von Freizügigkeit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden (und Anderslebenden!) zeigt sich, dass die ideellen und humanen Grundlagen unseres Zusammen-lebens, die seit fast zwei Generationen gelten, keineswegs selbstverständlich sind.
Welche Haltung können wir dagegen setzen? Nicht ein einzelnes Prinzip (auch nicht allein das der Demokratie), sondern erst ein ausbalancierter Organismus verschiedener und unverzichtbarer Spielregeln ermöglicht im Ergebnis eine an Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit orientierte Gesellschaft: Vor allem sind dies die demokratische Legitimation und die verfassungsmäßige Verpflichtung von Herrschaft auf allen politischen Ebenen, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien, der Minderheitenschutz vor demokratischer Überstimmung; es sind föderale Ausgleichsmechanismen, die Rechtsgebundenheit der Sicherheitsorgane und nicht zuletzt natürlich die rechtsstaatlichen Ansprüche jeder Bürgerin, jedes Bürgers gegenüber dem Staat.
Auch Rudolf Steiners Idee von den drei Bereichen des Sozialen Organismus liegt die Voraussetzung zugrunde, dass es nicht ein einzelnes, übergeordnetes Prinzip gibt, das die unterschiedlichen Systeme von Politik, Wirtschaft und Kultur zentralistisch steuert, sondern dass sich dieser Organismus im freien Zusammenspiel selbst regelt. Von dem Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde stammt das bekannte Diktum: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“
Selten hat man in der Nachkriegszeit die damit formulierte Verletzlichkeit so gespürt wie heute – dass gelingende Freiheit von gelebten Werten abhängt, die letzten Endes dem freien Geistesleben entstammen.
Ein offenes Zusammenleben nach demokratischen Regeln ist nicht so einfach, wie viele sich das wünschen. Die damit verbundene Komplexität besser zu verstehen ist eine Voraussetzung dafür, auch die entsprechende Haltung zeigen zu können. Ich freue mich, dass wir für diese Ausgabe Gesprächspartner und Autoren gefunden haben, die uns dabei helfen. Mehr denn je gilt heute: Misstrauen wir einfachen Parolen!