Wege aus der Wohnungsnot

Wege aus der Wohnungsnot
© ActionPress

Wer eine Wohnung sucht, verzweifelt allzu oft am knappen Angebot und an den hohen Preisen. 800 000 Wohnungen fehlen derzeit in Deutschland.

Milliarden müssen investiert werden, sagen Immobilienbranche und Politik. Vom selbst gesetzten Ziel mit jährlich 400 000 weiteren Wohnungen blieb die Ampel-Regierung meilenweit entfernt. Doch liegt die Lösung allein im teuren und zeitaufwändigen Neubau?

Am Thema Wohnungsmangel forschen schon länger das Wuppertal-Institut sowie einige Unis. Ihr frappierendes Ergebnis in diversen Studien: Wenn Potenziale im Bestand optimiert würden, wenn also mehr Wohnfläche kreativ umgewandelt, alternativ genutzt oder getauscht würde, ließe sich die Bedarfs-Quote auf „nur“ 70 000 neu zu bauende Wohnungen im Jahr herunterrechnen. Natürlich wird dabei mit „theoretischem Wohnraumpotenzial“ gerechnet, räumt Johannes Thema, Senior Researcher im Forschungsbereich Energiepolitik am Wuppertal-Institut ein. Aber selbst wenn dieses theoretische Potenzial für mehr Wohnraum und Umweltschutz bei weitem nicht ausgeschöpft werden könne, sei die Größenordnung trotzdem enorm, betont der Hauptautor einer europaweit angelegten Studie, Jonas Lage von der Europa-Universität Flensburg. Ein erfreulicher Nebeneffekt wäre die Reduzierung von Emissionen, Rohstoffverbrauch, Abfallaufkommen und Flächenversiegelung, die Neubauten verursachen. Der Bausektor ist nämlich in der EU verantwortlich für fünf bis zwölf Prozent der CO2-Emissionen, etwa die Hälfte aller in der EU entnommenen Rohstoffe und mehr als ein Drittel der Abfälle.

Wo sind Stellschrauben für das Umsteuern in einen sozial verträglichen, zukunftsfähigen Wohnungsmarkt? Kommunale Wohnraum-Agenturen in einer wachsenden Zahl von meist großen Städten wie München, Köln oder Tübingen identifizieren Wohnraumbedarfe im Quartier, bieten Beratung für Wohnungssuchende an, vermitteln alternative Wohnungen oder initiieren Wohnungstausch. Eine Hürde dabei ist der Datenschutz, aber inzwischen gehen mehr Menschen proaktiv zur Beratung und müssen nicht mühsam ausfindig gemacht werden. Gerade an biografischen Wendepunkten, wie etwa Auszug der Kinder oder Umzug in Pflegeheime im Alter, werden auf diese Weise Menschen von vertrauenswürdigen Institutionen begleitet und ein Wohnungstausch oder die Vermietung ermöglicht.

Den Boden aus der Spekulation lösen

Das bestätigt auch York Runte vom Mietshäuser-Syndikat. Es steht seit über 20 Jahren für selbst organisiertes und solidarisch finanziertes Wohnen. Trotz des eher heiklen Namens „Syndikat“ schafft es die Gruppe immer wieder, Häuser zu übernehmen, deren Besitzer beim Verkauf nicht auf höchsten Gewinn aus sind. Das Credo des Mietshäuser-Syndikats ist menschenwürdiger Wohnraum für alle, und das ohne privaten Besitz. Dieses Konzept überzeugt immer mehr Menschen. Das Projekt will die nicht vermehrbare Ressource Boden aus der Spekulation lösen. So lassen sich etwa Hausbesitzer überzeugen, denen die gesamte Fläche zu groß geworden ist und die dank Mietshäuser-Syndikat wohnen bleiben und nach Umbau passende Nachbarn finden können. 5400 Menschen gehören zum Syndikat, das in den letzten 20 Jahren rund 350 Millionen Euro investiert hat, um ganz unterschiedlich große Wohneinheiten vom 5-Personen-Haus bis zum Handwerkerhof vor allem in Altbauten neu nutzbar zu machen. Im Unterschied zur Genossenschaft sind dabei keine Einlagen nötig, und selbst kleinste Nachrangdarlehen als Eigenkapitalanteil haben sich sehr bewährt. Die Miethöhe wird auf freiwilliger Basis nach Einkommensverhältnissen festgelegt und Transparenz für alle im Projekt garantiert. York Runte betont: „Gemeinden können Einfluss nehmen auf den Wohnungsmarkt, wenn sie sich nicht allein vom schnellen Geld leiten lassen.“

Politische Entscheider denken um

Diese Erfahrung macht die Wagnis-Genossenschaft in München seit zwei Jahrzehnten. Zunächst etwas misstrauisch beäugt von den Entscheidern in der Verwaltung, kooperieren Stadt und Genossen inzwischen in vielfältiger Weise. Christine Grosse von der Wagnis-Genossenschaft wohnt seit Jahren in einem Wagnis-Bau und gibt Einblick in die Erfolgsgeschichte. Sie verschweigt nicht, wie wichtig langer Atem und Beharrlichkeit sind. Und betont, dass sozial und nachhaltig zu wohnen selbst im Mieten-Hotspot München gelingt, weil ein Umdenken der politischen Entscheider im Rathaus erreicht werden konnte. Dort werden bei Ausschreibungen neuer Bauprojekte inzwischen sinnvolle Projekt-Konzepte stärker bewertet als die Höhe des Preises. Außerdem bietet die Stadt Beratung an und ermöglicht so neben der Wagnis-Genossenschaft auch anderen Trägern, am Gemeinwohl orientiert bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wagnis-Genossen zeichnen Anteile und sind Eigentümer und Mieter auf Lebenszeit zugleich. Mit 4500 Mitgliedern und acht Projekten mit 700 Wohneinheiten, in denen ein gesellschaftlicher Mix an Bewohnern wichtig ist, setzt die vor über 20 Jahren gegründete Initiative Maßstäbe. Alle profitieren davon, dass Veranstaltungsräume, Werkstätten, Gäste-Appartements, Tobe-Zimmer für die Kleinen oder Co-Working-Spaces gemeinschaftlich genutzt werden können. Ökologische Materialien und ressourcenschonender Einsatz gehören ebenso zum Konzept wie soziale Aspekte. In das jeweilige Stadtviertel hinein wirken Wagnis-Bauten positiv, nicht zuletzt durch stets im Erdgeschoß eingerichtete Gewerberäume und die Vermietung von Gemeinschaftsräumen an Gruppen oder Vereine. Christine Grosse macht Mut auch für Initiativen im ländlichen Bereich: „Genossenschaften funktionieren überall, nicht nur in Großstädten.“

Wie hilfreich und notwendig dabei ein flexiblerer Blick der Verwaltung auf Bausatzungen ist, zeigt die noch zarte Bewegung weg von den obligatorischen Stellplätzen für Autos an den Häusern. Inzwischen verzichten immer mehr Kommunen auf die große Zahl von Parkplätzen und fördern auch Abstellflächen für Fahrräder oder Car-Sharing-Wagen. Kreativität ist nicht nur beim Flächenverbrauch gefordert. Auch die Aufstockung auf Garagen für Ein-Zimmer-Appartements oder die Ergänzung von bestehenden Bauten durch Tiny-Häuschen im Garten wird möglich, wenn die Bauämter solche Lösungen genehmigen. Potenzial steckt zudem in der Umwidmung von Büroflächen zu Wohnraum. Kommunen könnten den teils erheblichen Leerstand von Büros nutzen und deren Umbau zu Wohnungen unterstützen. Syndikate, Genossenschaften, Vereine, Beratungsstellen und die Wortmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern können zu solchen Problemlösungen beitragen. „Dann bleibt es nicht bei Schockstarre angesichts dramatischer Zahlen und dem verzweifelten Blick auf den Mangel“, ermutigen Beispiele wie die von Wagnis oder dem Mietshäuser-Syndikat.

Projekte im anthroposophischen Umfeld

Im anthroposophischen Zusammenhang gibt es seit Jahrzehnten vielfältige Unterstützungsangebote für alternative Wohnprojekte und selbstorganisiertes Gemeinschaftsleben.

Die GLS-Bank finanziert bezahlbares, gemeinschaftliches Wohnen und nachhaltige Immobilien. 2023 wurden dafür neue Kredite in Höhe von über 300 Millionen Euro vergeben. Damit konnten 80 000 Quadratmeter zusätzlicher Wohnraum mit über 1000 Wohneinheiten finanziert werden. Neben der Kernkompetenz Geld punktet die GLS-Bank in Bochum mit reichlich Erfahrung in der gemeinwohlorientierten Ausrichtung von Immobilien, deren unterschiedlichen Rechtsformen und stellt auch gute Kontakte sowie breites Wissen im Bereich ökologisches Bauen zur Verfügung.

Die Stiftung trias vergibt Mittel für Projekte rund um die Stiftungsthemen Boden, Ökologie und Wohnen. Sie sieht Wohnprojekte als Experimentier- und Übungsfelder für die Gesellschaft, in denen sich Zukunftsfähiges entwickeln kann. Im Mittelpunkt steht der Stiftungsgedanke, dass die Antworten auf die drängenden Fragen der Gesellschaft in der Gemeinschaft liegen. Entsprechend sollen in der Zusammenarbeit der Generationen Alternativen entwickelt und bei der Umsetzung geholfen werden. Das Wohnprojekte-Portal der Stiftung trias vernetzt Wohnprojekte, gibt die Möglichkeit zu fachlichem Austausch und bringt Projekte mit Mitstreiter:innen sowie den passenden Berater:innen zusammen.

Weil Grund und Boden ein knappes Gut und deshalb meist zu teuer für günstigen Wohnraum und soziale oder kulturelle Projekte sind, entzieht die Stiftung Edith Maryon mit Sitz in Basel Grundstücke der Spekulation und stellt Liegenschaften für gemeinschaftliche Wohnprojekte, Orte der Kultur, für Bildung und Erziehung und Demeter-Höfe zur Verfügung. Seit der Gründung 1990 hat die gemeinnützige Stiftung über 160 Projekte vor allem in der Schweiz und in Deutschland realisiert.

Die meisten Immobilien werden der Stiftung geschenkt oder als Legat vermacht, einige werden auch gekauft. Durch Vermietung oder Verpachtung entstehen so Projekte für günstigen Wohnraum. Auch in Rechts- oder Vertragsfragen sowie beim Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen unterstützt die Edith-Maryon-Stiftung. Das Ziel dabei ist stets, Menschen zusammenzubringen, die Wohnen, Arbeiten und Zusammenleben verändern wollen. Entscheidend dabei sind die Prinzipien Eigenverantwortung und Selbstverwaltung. ///

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift info3, April 2025.

Über den Autor / die Autorin

Renée Herrnkind

Renée Herrnkind ist seit 1981 als freie Journalistin tätig, lange Zeit im Bereich Bio und Demeter, auch in der Öffentlichkeitsarbeit. Seit vielen Jahren bringt sie Themen eines ökologisch-nachhaltigen Lebensstils auch in ihrer Arbeit für die Zeitschrift info3 ein. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Hunden abwechselnd in Hessen und im Allgäu.