Er ist ein Bandit, weil er Spieler ausraubt. Betätigt wird er über einen seitlichen Hebel, weshalb er bis heute „einarmiger Bandit“ heißt. Diesen Glücksspielautomaten erfand 1897 Charles Fey, der ihn mit drei Walzen ausstattete, die verschiedene Symbole zeigen. Der Spieler wirft eine Münze ein, mit dem Hebel setzt er die Walzen unabhängig voneinander in Bewegung. Es dauert drei Sekunden, bis die rotierenden Walzen zum Stillstand kommen. Die Kombination der abgebildeten Symbole entscheidet über Gewinn oder Verlust. Die höchste Summe wird ausbezahlt, wenn alle Walzen das Symbol einer Glocke zeigen. Am Prinzip des „einarmigen Banditen“ hat sich bis heute wenig geändert – nur steckt in modernen Banditen eine Software mit Zufallsgenerator.
Warum dieser Ausflug in die Spielhölle? Weil der „einarmige Bandit“ genauso süchtig machen kann wie „Social Media“. Und vor allem lässt sich damit erklären, warum wir reihenweise dem Smartphone verfallen sind. Doch der Hinweis auf den Automaten reicht nicht aus, wir müssen noch eine weitere Reise machen, und zwar zu den Rattenkäfigen der Verhaltensforscher in den 1950er Jahren.
Einer von ihnen hieß Frederic Skinner (1904–1990). Er baute einen Käfig, die „Skinner-Box“, in der eine Ratte Futter bekam, wenn sie auf einen Hebel drückte. Durch die Belohnung lernte sie, dass diese Aktivität angenehme Folgen hat. Das verstärkte ihr Verhalten, den Hebel immer mehr zu bedienen. Das Experiment entsprach einem „Verstärkerplan“. Ein solcher „Verstärkerplan“ ist Teil einer „operanten Konditionierung“. Konditionierung bedeutet: Durch einen bestimmten Reiz wird automatisch ein Verhalten abgerufen. Das Wort „operant“ steht für den Sachverhalt, dass die Ratte durch eigene Aktivität („operieren“) die Konditionierung auslöst.
Dabei handelt es sich zunächst um eine „kontinuierliche Verstärkung“. Jedes Mal, wenn die Ratte den Hebel betätigt, bekommt sie Futter. Darauf kann sie sich verlassen, wodurch sie immer häufiger diese Reaktion zeigt. Skinner übertrug diese Erkenntnisse auf Menschen, der „Behavorismus“ war geboren. Menschliches Verhalten wird in vielen Bereichen der Gesellschaft durch Belohnung oder Strafe gesteuert, etwa bei der Erziehung von Kindern. „Operante Konditionierung“ heißt beim Menschen: Er greift wie die Ratte aktiv in ein Geschehen ein, und je öfter er für dieses gewünschte Verhalten belohnt wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er sich wieder genauso verhält. Um dem Suchtphänomen auf die Spur zu kommen, fügen wir das Wort „intermittierend“ hinzu und sprechen jetzt von „intermittierenden Verstärkerplänen“.
Das Adjektiv „intermittierend“ bedeutet „aussetzend“ oder „stoßweise“. Genau das Gegenteil von „kontinuierlich“. Ein „intermittierender Verstärkerplan“ folgt also keinem Plan! Die Belohnung erfolgt zufallsgesteuert, der Willkür eines Algorithmus ausgeliefert.
So schlagen wir die Brücke zum Glückspielautomaten: Genau mit solchen „intermittierenden Verstärkerplänen“ arbeiten ihre Programmierer. Der Spieler will Geld als Belohnung, kann sich aber niemals sicher sein, wann diese Belohnung kommt. In der nächsten Runde? Nach zehn weiteren Runden? Das kann dazu führen, dass er wilde Theorien entwickelt und Muster zu erkennen glaubt, wo keine existieren. Immer wieder muss er sein Glück versuchen. Es entsteht eine ständige Spannung aus Hoffnung, Enttäuschung und vermeintlichen Erfolgen. Die Sucht beginnt.
Wer schon süchtig ist, betätigt den „einarmigen Banditen“ immer wieder – hunderte, tausende Male. Viele Süchtige denken: „Ich probiere mein Glück nur noch dieses eine Mal.“ Dabei hoffen sie aber, den seltenen Großgewinn zu erzielen. Der Spieler muss immer weiterspielen, weil der große Gewinn in der nächsten Runde winken könnte – oder auch nicht! Das ist die manipulative Wirkung von „intermittierenden Verstärkerplänen“.
Sucht in virtuellen Welten
Bitte nicht zu schnell abwinken, weil viele noch nie vor einem „einarmigen Banditen“ saßen. Denn jetzt erfolgt der entscheidende Schritt: Derselbe Suchtmechanismus greift in der virtuellen Welt, in der viele Elemente des realen Glücksspiels nachempfunden werden – bis hin zu „einarmigen Banditen“, die sich per Maus oder Spielkonsole steuern lassen. Aber Achtung! Diese Suchtmechanismen gibt es nicht nur beim Glücksspiel, egal ob real oder virtuell. Sie haben bereits unsere Handys erobert.
Warum? Dazu klettern wir in den Maschinenraum der Konzerne: Dort werden die Hebel umgelegt, um das Suchtverhalten zu steuern und zu befeuern. Das erläutert uns der abtrünnige Maschinist Tristan Harris, ein ehemaliger Google-Mitarbeiter: „Einige Milliarden Menschen haben einen Spielautomaten in der Hosentasche.“ Das zeigt er an täglichen Situationen, gesteuert von „intermittierenden Verstärkerplänen“. Sobald wir unser Smartphone aus der Tasche holen, starten wir den Spielautomaten, wenn wir unsere aktuellen Benachrichtigungen sehen wollen. Viel Werbung, wenig Inhalte, rein zufallsbedingt!
Wenn wir das Mailprogramm aufrufen, spielen wir schon wieder ein Glücksspiel. In einem Meer von Nachrichten taucht ab und zu eine wichtige Mail auf, rein zufallsbedingt. Wer seinen Instagram- oder Facebook-Feed runterscrollt, hofft auf eine interessante Geschichte. Kommt sie, kommt sie nicht? Wieder alles zufallsbedingt. Sobald jemand eine Dating-App wie Tinder benutzt, fängt er an, Fotos von Menschen nach links oder rechts zu wischen, in der Hoffnung auf ein „Match“. Ein Glücksspiel, rein zufallsbedingt.
Vor diesem Hintergrund erklärt der ehemalige Gründungspräsident von Facebook, Sean Parker, wie Sucht von Anfang an zum Geschäftsmodell von Facebook gehörte. Er nennt sich heute selbst „einen social-media-Verweigerer aus Gewissensgründen“. Als das Netzwerk entwickelt wurde, drehte sich alles um die Frage: „Wie nehmen wir möglichst viel Zeit unserer Nutzer in Anspruch? Wie bekommen wir möglichst viel von ihrer bewussten Aufmerksamkeit?“, berichtet Parker. Als Antwort nahmen die Gründer eine „Schwachstelle der menschlichen Psyche“ ins Visier: „Wir müssen hin und wieder dem Nutzer einen kleinen Dopaminschub verpassen“, so Parker. Und zwar jedes Mal, wenn er einen Beitrag veröffentlicht, der auf Interesse bei anderen Nutzern stößt. Das signalisiert Anerkennung, indem Nutzer positive Kommentare schreiben oder Likes vergeben. Hinzu kommt der „ewige“ Nachrichtenstrom, der wie ein „intermittierender Verstärkerplan“ funktioniert. So entstehen immer wieder kleine Glücksgefühle.
Abhängig von Anerkennung
„Das bringt Menschen dazu“, so Parker, „noch mehr Inhalte beizutragen, was wiederum mehr Likes oder Kommentare auslöst.“ Der Ex-Präsident bezeichnet diesen Mechanismus als „Feedback-Schleife für soziale Anerkennung“. Der ökonomische Nutzen: Je länger ein User am Smartphone klebt, desto mehr Werbung kann Facebook einspielen – und verdient an jedem Klick. Eine perfekte Methode, um Menschen in die Sucht zu stürzen und damit Milliarden-Umsätze zu machen.
Schauen wir auf ein paar Zahlen: Facebook ist heute ein Teil des Tech-Konzerns Meta. Sein Umsatz lag laut Statista 2024 bei rund 164,5 Milliarden US-Dollar, ein Zuwachs um rund 30 Milliarden US-Dollar, verglichen mit dem Vorjahr. 2023 lag der Umsatzanteil der Werbung bei 98 Prozent! Der Gewinn betrug 2024 rund 62,4 Milliarden Dollar, was einer märchenhaften Umsatzrendite von 38 Prozent entspricht. Sagenhafter Reichtum für den Gründer Mark Zuckerberg – und viel zu viel Macht für eine einzelne Person auf dem Planeten. So wie bei Elon Musk.
Das Kontrastprogramm liefert die Krankenkasse DAK-Gesundheit. Ihre Mediensuchtstudie (Stand 2023) zeigt für 14 bis 17-Jährige: „Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die soziale Medien riskant nutzen, hat sich mit aktuell 24,5 Prozent seit 2019 bereits verdreifacht.“ Mit „riskant“ meint die Krankenkasse, dass die Betroffenen gefährdet sind, „ernsthafte gesundheitliche Probleme“ zu bekommen. Zudem haben etwa 6,1 Prozent ein „pathologisches Nutzungsverhalten“ entwickelt. Das bedeutet: „Die Nutzung von Social Media ist als krankhaft einzustufen und beeinträchtigt bereits persönliche, soziale und schulische beziehungsweise berufliche Lebensbereiche.“
Wenn wir Parker glauben dürfen, haben Zuckerberg und Co. genau gewusst, dass sie eine Suchtmaschine auf die Menschheit loslassen. Einzig und allein, um Profite zu maximieren, gerne auch auf Kosten von Kindern und Jugendlichen.
Die erschreckende Erkenntnis lautet: Wir sitzen alle digital längst vor „einarmigen Banditen“.
Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift info3, April 2025.