Perlen und Zuckerwatte? 50 Jahre Vereinigung der Waldorfkindergärten!

Podium beim Treffen in Kassel

Mit einem Festakt im Anthroposophischen Zentrum in Kassel feierte die Vereinigung der Waldorfkindergärten ihr 50-jähriges Bestehen.

Was brauchen die Kinder für die Zukunft? Was brauchen sie heute von den ErzieherInnen – und wie können diese leisten, was zu tun ist? Fragen, die im Zentrum der Veranstaltung standen. Für einen lebendigen Austausch sorgten die FestrednerInnen: Philipp Reubke (IAWESCE Frankreich), der für den erkrankten Henning Köhler einsprang, die Hamburger Ärztin Barbara Treß und Marcus Schneider, Leiter der Fachschule Anthroposophische Pädagogik in Dornach – für die Moderation Sabine Cebulla-Holzki, Leiterin des Waldorfkindergartenseminars Hannover, sowie Mira Drews am Klavier, die virtuos und mit eigenen Kompositionen weitaus mehr als ein musikalisches Rahmenprogramm beisteuerte.

Wolfgang Sassmannshausen erinnerte einleitend an die Gründungsinitiative von Helmut von Kügelgen und Klara Hattermann: Anders als andere anthroposophische Initiativen wurde die Vereinigung der Waldorfkindergärten nicht dem Impuls eines Einzelnen folgend im Dialog mit Rudolf Steiner – so wie etwa bei Emil Molt für die Waldorfschule – gegründet. Entsprechend gibt es von Steiners Seite kaum Hinweise auf eine frühkindliche Pädagogik. Was das kleine Kind braucht, das scheint eine Frage zu sein, die jede Gegenwart neu stellen und beantworten muss – gemeinschaftlich, auf Grundlage der lebendigen Vielfalt der Beziehungen, in denen die Kinder leben.

An erster Stelle also: das Suchen, die Fragen. Philipp Reubke zeichnete die Grundgesten des Miteinanders entlang des pädagogischen Alltags nach: Verbindung und Grenze, Ordnung und Chaos, Zentrum und Peripherie. Barbara Treß griff sie aus medizinisch-menschenkundlicher Sicht auf: Individuum und Gemeinschaft, Autonomie und Zugehörigkeit, Gewordenes und Werdendes – es ist ein Spannungs- und Konfliktfeld, in dem sich Leben individuell entfaltet. Vor aller Erziehung: die Beziehung. Marcus Schneider gab Einblicke in seine eigene Kindheit, in der die Eltern wenig Zeit hatten und sich dennoch viel entwickelte. Im Gefüge der Welt müssen Forderung und Förderung nicht immer pädagogische Intentionen sein: Das Kind, das sich im guten Kontakt mit seiner Umwelt fühlt, Möglichkeiten findet und ergreifen kann, entwickelt seine Ressourcen womöglich auch ohne Anleitung. Wie die Auster aus dem Sandkorn die Perle – so ein Bild von Barbara Treß.

So war eines der Schlüsselwörter für das Gelingen von Entwicklung an diesem Festtag: Resonanz. Das sei, so Barbara Treß, Grundlage, um für Kinder „den Zukunftskorridor“ zu eröffnen – gerade angesichts des rasanten Wandels der Lebensbedingungen in der digitalen Gesellschaft. Das gelte, so Philipp Reubke, auch für die weltweite Gemeinschaft der Waldorfkindergärten: Resonanz als Grundvoraussetzung für den Balanceakt des Gelingens von gemeinschaftlicher wie individueller Lebensgestaltung – ein Spielraum, in dem Verbundenheit und Beweglichkeit zusammengehen, Schlüssel für die Zukunftsfragen. Schlüssel auch für die Frage nach den eigenen Ressourcen: Was in der Kindheit angelegt wurde, so Marcus Schneider, will gepflegt sein, dann vermehre es sich wie Zuckerwatte. Das zu erkennen, mit diesen aus der Kindheit erwachsenen inneren Potenzialen in Resonanz zu gehen, das sei die wertvollste Ressource im Alltag mit Kindern.

Das kleine Kind stand womöglich aus gutem Grund nicht im Zentrum der pädagogischen Überlegungen Steiners. Es ist ohne Gemeinschaft ebenso wenig zu denken wie die Gemeinschaft ohne ihre Kinder: Die Zukunft ist immer eine Frage nach dem Zusammenhang des Ganzen. – Mit Heiterkeit, Kritik und Mahnungen versuchte die Festgemeinschaft das hundertjährige Jubiläum im Jahr 2069 auszumalen.

Über den Autor / die Autorin

Silke Kirch

Dr. Silke Kirch ist promovierte Geisteswissenschaftlerin, Lebens- und Sozialkünstlerin und lebt in Frankfurt am Main.