„Masken im Unterricht gefährden die Entwicklung der Kinder“

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Um einen Regelbetrieb der Schulen zu gewährleisten, sollen Kinder und Jugendliche in vielen Bundesländern auch im Unterricht Masken tragen. Dagegen regt sich Widerspruch. Im Gespräch mit der Kinder- und Jugendärztin Dr. med. Karin Michael.

Frau Michael, Sie leben und arbeiten in Nordrhein-Westfalen, das zu denjenigen Bundesländern zählt, die das neue Schuljahr mit einer Maskenpflicht im Unterricht begonnen haben. Zusammen mit anderen Ärztinnen, Ärzten und Pädagogen haben Sie in einem offenen Brief an die zuständige Ministerin ein Ende dieser Maßnahme gefordert. Was hat Sie motiviert?

Wir haben sowohl die zuständige Schulministerin als auch den Gesundheitsminister des Landes NRW adressiert, weil es hier auch um eine gesundheitliche Frage geht. In unserem Brief verweisen wir darauf, dass Kinder bis zur Pubertät in ihrer Entwicklung hochgradig abhängig von der emotionalen Beziehung zu Erwachsenen sind. Kinder lesen und erleben am Gesicht ihres Gegenübers. Dies gilt neben der Lehrer-Schüler-Beziehung ebenso intensiv auf dem Feld der Entwicklung von Sozialkompetenzen durch den Kontakt mit Mitschüler*innen. Und weil es hier auch in Richtung einer Gefährdung der Kinder geht, behalten wir uns ebenfalls juristische Schritte gegen die Maskenpflicht vor, und zwar so schnell als möglich. Als Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern bin ich auch persönlich betroffen. Und alles, was wir aus dieser persönlichen Betroffenheit erfahren haben, ist einfach gesundheitsgefährdend für die Schüler.

Können Sie das näher erklären?

Das gilt sogar auf mehreren Ebenen, denn es geht nicht nur um die Fragwürdigkeit der Masken, sondern durch die Regelungen der Wege und der Pausen auf dem Schulgelände sind Situationen entstanden, die kaum auszuhalten sind. Unsere Tochter berichtete, dass ihre Klasse ein auf dem Schulhof aufgemaltes Quadrat zugewiesen erhielt, um sich nicht mit anderen Klassen zu durchmischen; das Quadrat befand sich in der prallen Sonne bei Temperaturen über 30 Grad – und das alles mit einer Maske an.

Das gilt für Kinder ab der fünften Klasse?

Genau. Und es ist dann den Lehrer*innen immerhin freigestellt, auch sogenannte Maskenpausen einzulegen – wobei eine Unterbrechung des Maskentragens natürlich das Ganze eigentlich ad absurdum führt.

Warum tritt Ihrer Einschätzung nach gerade der Deutsche Lehrerverband so stark für eine Maskenpflicht ein?

Ich glaube, dass sich da emotional einiges hochgeschaukelt hat, insbesondere weil gesellschaftlich am Anfang so drastisch Ängste geschürt wurden. Wichtig wäre es hier, dass denjenigen Lehrerinnen und Lehrern, die eine berechtigte Sorge um ihre Gesundheit haben, aufgezeigt würde, wie sie sich wirksam schützen können. Was wir stattdessen jetzt haben, ist ein Alibi, das gar keinen realen Schutz bietet.

Sie bestreiten die Wirksamkeit des Maskentragens grundsätzlich?

Nein, nur für das Tragen von selbstgenähten, beziehungsweise so genannten „Alltags-Masken“, und dabei kann ich mich sogar unter anderem auf eine Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte berufen, wo es wörtlich heißt: „Träger der beschriebenen Mund-Nasen-Bedeckungen können sich nicht darauf verlassen, dass diese sie oder andere vor einer Übertragung von SARS-CoV-2 schützen, da für diese Masken keine entsprechende Schutzwirkung nachgewiesen wurde.“ Die Masken garantieren also weder einen Fremdschutz noch einen Selbstschutz.

Und doch wiederholen Wissenschaft und Politik die Notwendigkeit der Maskenpflicht wie ein Mantra, keiner wagt es da auszuscheren. Im Gegenteil fordern Gesundheitspolitiker wie Karl Lauterbach, dass es auch keine Ausnahmen einzelner Bundesländer mehr geben soll. Wie kommen wir da wieder raus?

Mit dem Kollegen Lauterbach sicher nicht, er verhält sich vielfach unsachlich und emotional und missbraucht in meinen Augen sein Arzt-Sein in dieser Frage. Aber wir kommen da wieder heraus, indem wir die echten Risiken in den Blick nehmen, sowohl was die mögliche Erkrankung angeht, aber auch was die Schäden angeht, die durch die Maskenpflicht oder Abstandsregeln bei den Kindern und Jugendlichen entstehen. Kinder erfahren in ihrer Entwicklung zurzeit eine erschütternde Prägung: Sie lernen, dass sie für andere und dass die anderen Menschen für sie eine Gefahr bedeuten! Durch die Art und Vermittlung der Schutzmaßnahmen lernen sie, dass Angst ein probates Mittel ist und Werte wie Selbstbestimmung, Freiheit und Würde dahinter zurücktreten müssen. Wir müssten also in beide Richtungen schauen und dabei immer das Individuum im Blick behalten. Es muss ein Abwägen der Risiken geschehen gegenüber den Wirkungen, die die Maßnahmen haben. Wir könnten ja fragen: Wo bestehen echte Risiken? Wie schützen wir die besonders Gefährdeten? Und wie befreien wir die anderen, die kein oder nur ein geringes Risiko haben?

Und dann gibt es ja auch noch die, die ein höheres Risiko haben, sich aber bewusst dazu entscheiden, es in Kauf zu nehmen. Es gibt beispielsweise alte Menschen, die sagen: Ich will meine Angehörigen weiterhin sehen, diese Lebensqualität ist es mir wert, dass ich eventuell erkranke. Wir sollten viel mehr auf Eigenverantwortung und das Abwägen verschiedener Maßnahmen setzen.  

Wie schätzen Sie selbst als Kinderärztin die Infektiosität bei Kindern und Jugendlichen ein?

Dazu haben wir ja inzwischen durchaus Daten und man kann sagen, dass Kinder bis etwa vierzehn Jahre weder selbst nennenswert gefährdet sind noch gefährlich für andere. Und auch bei jungen Erwachsenen scheinen die Risiken sehr begrenzt. Die Vorstellung, dass die Schulen ein Risiko für die Gesellschaft darstellen, halte ich inzwischen für völlig abwegig. Man kann in den Schulen Risiko-Personen schützen, indem diese selbst funktionierende Masken tragen.  Im Umfeld der Schüler*innen kann ja jeder selbst entscheiden, ob er sich lieber durch Isolation schützen möchte und Kontakt vermeidet. Schön wäre, wenn man sich wieder mit mehr Vertrauen begegnen könnte! Kinder brauchen Wärme und Nähe. ///

Interview: Jens Heisterkamp

Zur Person: Dr. med. Karin Michael ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Kindergarten- und Schulärztin und Mutter zweier Kinder.

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Redaktion info3

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