Interview: Isabelle Acker
Herr Lesch, Sie betonen in Ihrem neuen Buch Unberechenbar die Energiekrise und raten dringend dazu, erneuerbare Energien einzusetzen und Energie einzusparen. Warum ist das wichtig und was hat das mit der Digitalisierung zu tun?
Bei Christian Holler und Joachim Gaukel habe ich gelesen, dass jeder von uns ungefähr zwischen 100 und 120 Kilowattstunden pro Tag verbraucht. Das ist ziemlich viel. Wenn man auf einem Ergometer, also einem Heimtrainer, zehn Stunden lang 100 Watt tritt, dann hat man gerade einmal eine Kilowattstunde zusammen. Da ahnt man schon, was für einen Energieverbrauch wir haben. Christian Holler sagt, dass wir unseren Energieverbrauch praktisch halbieren müssen. Nur – das Fatale ist, dass wir mit der zunehmenden Digitalisierung und den immer neuen Geräten noch mehr elektrische Energie benötigen. Es wird uns also gar nichts anderes übrigbleiben, als Technologie mit der ethischen Frage zu verbinden: Wie schaffen wir es, unseren Verbrauch zu reduzieren? Und wenn wir nicht Energie sparen können, wo können wir mit erneuerbaren Energien zu der Dekarbonisierung beitragen? Und was brauchen wir Konsument*innen eigentlich wirklich?
Heute ist viel die Rede von Dingen wie 5G, dem Internet der Dinge, dem Smart Home – warum eigentlich? Brauchen wir all das wirklich?
Ja gute Frage, nächste Frage (lacht). Also offenbar ist dieser Fortschrittsgedanke immer nur daran gekoppelt, dass wir uns neue Technik ins Haus holen und nicht daran, dass wir uns neue Verhaltensmaßnahmen zulegen. Es wäre bereits ein großer Fortschritt, wenn wir uns anders verhalten würden!
Kapitalismus lebt davon, dass immer wieder neue Produkte auf dem Markt erscheinen: immer mehr Streaming, immer schnellere Handys und so weiter. Aber die Probleme, die damit einhergehen, sind nicht nur energetischer Art, sondern stellen heute mehr denn je auch ein Sicherheitsproblem dar. Selbst im Stand-by-Betrieb schicken die Geräte pausenlos Daten irgendwohin. Das sollte uns allen sehr zu denken geben. Vielleicht sollten wir in Zukunft deutlich analoger leben, als das momentan der Fall ist.
Also sind Sie der Meinung, dass mehr Technik unser Leben nicht wirklich besser machen kann?
Ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern. Es gibt Technologien, die machen unser Leben leichter. In dem Moment, wo das Ganze zu einer Technik-Diktatur wird, müssen wir uns aber auch fragen, was machen wir mit der Technik und was macht die Technik mit uns? Welche Folgen hat das für uns? Wie wird eine bestimmte Technologie mein Verhalten verändern? Es geht darum, das richtige Maß zu finden und seine Unabhängigkeit zu bewahren.
Wir haben mittlerweile ein sehr hohes Lebenstempo. Wir sind relativ schnell an irgendeinem Ort der Welt, wir können uns über das Internet praktisch mit Lichtgeschwindigkeit über irgendetwas informieren. Das hohe Tempo verlangt dann eben auch nach mehr Leistung. Und mehr Leistung verlangt nach mehr Energie. Deshalb hat unser Energiehunger sehr viel damit zu tun, dass wir inzwischen Gesellschaften, aber auch einzelne Personen, sehr stark nach ihrer Leistungsfähigkeit bewerten. Also uns Menschen als Funktionseinheiten begreifen, die irgendwie vergleichbar mit Maschinen sind und eine ähnliche oder sogar eine höhere Leistung abzuliefern haben. Das wird aber nicht der Weg sein, sondern wir brauchen tatsächlich in vielerlei Hinsicht eine andere Zeitkultur. Wie Thomas Schwartz und ich in unserem neuen Buch Unberechenbar schon sagen, sollten wir uns unsere Zeit aber bewusster einteilen, um Situationen neu zu betrachten und die einfachen Dinge wahrzunehmen.
Wie halten Sie es selbst mit der digitalen Technik?
Was die Kommunikation mit den Smartphones betrifft, haben Sie es bei mir mit einem Eremiten zu tun (zeigt ein altes Handy ohne Touch-Funktion). Ich habe die goldene Regel, dass ich einmal am Tag eine Stunde lang E-Mails checke und dann ist Schluss. Bei mir ist nichts so dringend, dass ich es nicht auf morgen verschieben kann. Das ist ein Kommunikationsverhalten, das ich mir bewusst leiste. Für viele Leute in meiner Arbeitsumgebung bin ich damit eine Provokation. Aber ich werde dann auch oft gefragt, „Sag‘ mal wie kriegst du das denn eigentlich alles hin? Du schreibst Bücher, du machst Fernsehen, du hältst Vorlesungen und so weiter.“ Ich konzentriere mich lieber auf die Sachen, die ich für richtig und wichtig halte. Und solange das gelingt, glaube ich, kann man sich ganz wohlfühlen mit Technik.
Wie ordnen Sie denn als weitere Krise das Insektensterben ein? In den vergangenen 27 Jahren sind ja fliegende Insekten insgesamt um über 75 Prozent zurückgegangen. Könnte uns das vielleicht sogar noch rapider als der Klimawandel in unserer Existenz bedrohen?
Da sprechen Sie natürlich ein ganz schwieriges Thema an: die Reduktion der biologischen Vielfalt. Wenn wir das mal rein ökonomisch betrachten, ist das Insektensterben eine Katastrophe. Die Bestäubungsleistung von Insekten geht in die mehrere zehn Milliarden Euro pro Jahr. Damit ist das Insektensterben ein Menetekel, dessen Ausmaß man sich gar nicht vorstellen mag. Und gerade deswegen ist ein Umsteuern in der Landwirtschaft ganz wichtig: Wir brauchen viel mehr ökologische Landwirtschaft und weniger Massenbetriebe mit dem Einsatz von „chemischen Kampfstoffen“. Wir haben durch den Einsatz von Insektiziden und Pestiziden Kreisläufe in Gang gesetzt, wo wir genauso wenig wie bei der globalen Erwärmung wissen, ob wir nicht schon über den Kipppunkt drüber sind.
Es gibt ja auch diese Mentalität der Folgenlosigkeit, diese Aus-dem-Auge-aus-dem-Sinn-Einstellung. Wie mit dem Müll, der ins Ausland verschifft wird. Wie schätzen Sie diese Thematik ein?
Ich bin da völlig Ihrer Meinung und das ist eine sehr merkwürdige Geschichte. Zum Beispiel hat Europa seine Umweltbelastungen einfach in andere Länder outgesourced. Und dann wundern wir uns, dass bei uns der Himmel blau ist, die weltweiten Emissionen aber nicht sinken. Das zeigt natürlich auch, dass unser Verständnis für den Planeten Erde noch gar nicht ganz da ist. Alle unsere Abfälle, die wir in die Luft abgeben, bleiben hier und gelangen über die Luft und die Flüsse zurück in unsere Böden. Und wenn wir heute schon Mikroplastik an den Flussquellen in den Alpen finden, dann sehen wir, dass wir einen geschlossenen Kreislauf haben. Wir haben bereits so viel Müll auf diesem Planeten erzeugt, dass die natürlichen Kreisläufe diesen Müll einfach mittransportieren.
Wie gehen Sie selbst mit dieser Thematik um?
Ich als Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalist versuche meine Themen klar und verständlich zu vermitteln und zu kommunizieren. Das erkennen Sie auch ganz gut in meinem neuen Buch. Da zeigen Thomas Schwartz und ich verschiedene Wege und Möglichkeiten für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen. Denn wenn nur jede und jeder von uns eine Kleinigkeit in seinem Leben ändert, kann das zusammengenommen große Auswirkungen auf die Natur und das Klima haben. Außerdem … wir haben ja keine Alternative zum Optimismus.
Das ist doch ein schönes Schlusswort – sehr schön, dass Sie sich auch persönlich so dafür einsetzen!
Es gibt einen schönen Witz, wo irgendjemand zu einem Rabbi sagt: „Rabbi, kannst du mir zeigen, wo Gott ist?“ Und der Rabbi sagt: „Kannst du mir zeigen, wo er nicht ist?“ Und man kann nur hoffen, dass jede junge Generation beginnt, den Alten zu sagen: „Freunde weiter, weiter, weiter, vamos, vamos, vamos.“ Und das darf aber nicht alleine bleiben, sondern das muss ein „juntos“ werden – nur wir alle zusammen, die junge Generation kann es nicht alleine machen, das können wir nur zusammen machen.
Ja, vamos juntos!
Vamos juntos, das ist es, genau! ///
Das Interview erschien in der Januarausgabe der Zeitschrift info3 zum Thema “Die Grenzen der Digitalisierung”. Hier das Einzelheft bestellen.