Biologisches Saatgut: Züchtung mit Bewusstsein

Eine Frau und ein Mann betrachten Samenkörner
© Kultursaat.ev

Biologisch gezüchtetes Saatgut war lange Zeit ein vernachlässigtes Thema, auch im Bereich der Biodynamik. Jetzt gibt es ein Projekt, das über den biologisch-dynamischen Anbau hinaus Formen einer direkten geistigen Einflussnahme auf Saatgut erforscht. Unser Text bietet erste Einblicke.

Es ist bis heute oft nicht nachzuvollziehen, wie aus Wildpflanzen Kulturpflanzen wurden, aus der wilden Möhre mit ihrer kleinen und farblosen Wurzel also die knackig-frische, wohlschmeckende orange Möhre, oder aus dem wilden Kohl die ganze Vielfalt an Kohlgemüsen, angefangen von Kohlrabi und Wirsing über Rot- und Weißkohl bis hin zu Grünkohl, Blumenkohl und Rosenkohl. Dasselbe gilt für die heutigen Getreide und auch für die Entstehung der Haus- und Nutztiere.

Mit der neolithischen Revolution vor rund 12.000 Jahren, als die Menschen sesshaft wurden, Acker- und Gemüsebau und Viehzucht betrieben, begannen die Menschen wohl züchterisch einzugreifen und aus vorgefundenen Wildformen Kulturpflanzen zu züchten – oder was auch immer die Menschen damals genau taten. Heute versteht man unter Züchtung die Kreuzung und Selektion von Pflanzen mit geeigneten Eigenschaften. Von Generation zu Generation werden die jeweils geeigneten Exemplare herausgesucht und in die Zukunft geführt.

Doch allein durch diese Züchtungsmethode lassen sich aus den Wildformen die Kultursorten nicht herauszüchten. Vielleicht waren damals die Verhältnisse andere – womöglich war die ganze Natur noch plastischer, nicht so abgegrenzt und dadurch leichter zu beeinflussen, oder man hatte völlig andere Methoden, etwa in Verbindung mit der Sternenwelt, mit kultischen Ritualen oder anderen Einflüssen, die wir heute der Epigenetik zuordnen würden: Veränderung entsteht hier nicht durch Mutation im Rahmen der Vererbung, sondern durch die Umwelt.

Angemessene Sorten fehlen

Ein Sprung ins 20. Jahrhundert: Bei der Begründung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in Koberwitz 1924 hat Rudolf Steiner das Thema des Züchtens nur gestreift. Dennoch wurden die Demeter-Landwirte bald darauf aufmerksam, dass es an Sorten fehlte, die zum biologisch-dynamischen Landbau passten. Es entstanden erste Initiativen vor allem für Getreide.

Zum Ende des 20. Jahrhunderts hin verbreitete sich in der Landwirtschaft der Einsatz von hybridem Saatgut, das im Gegensatz zu samenfesten Sorten kein neuerlich anbaufähiges und ergiebiges Saatgut erbringt und für die Landwirte den alljährlichen Neukauf von Saatgut erforderlich macht – was den Agrarkonzernen große Gewinne, aber auch Macht verschafft. Es folgte der zunehmende Einsatz von Gentechnik.

Das konventionelle Saatgut ist für den konventionellen Anbau mit Pflanzenschutzmitteln und großer Einheitlichkeit statt evolutionsfreudiger Vielfalt ausgerichtet, Geschmack und Qualität gehen zurück und samenfestes – also für die bäuerliche und gärtnerische Samengewinnung geeignetes – Saatgut wird immer seltener. Vor allem bringt das konventionelle Hybrid-Saatgut höhere Erträge; dadurch ist Gemüse aus samenfestem Saatgut teurer, weil sich mit ihm diese hohen Erträge nicht erzielen lassen.

Fraglich ist auch, wie sich das manipulierte Saatgut langfristig in den Gesamtzusammenhang der Natur einfügt. Erkennbar ist bereits, dass Resistenzen gegenüber Schädlingen und überhaupt die Vitalität der Pflanzen zurückgehen – der konventionelle Anbau führt zu einer qualitativen Erstarrung.

Dem wollte man in der biologisch-dynamischen Szene nun durch naturnähere und -verträglichere Züchtungsmethoden entgegenwirken. 1994 gründete sich der Verein Kultursaat, in dem heute an rund 30 Standorten arbeitende Gemüse-Züchterinnen und -Züchter zusammengeschlossen sind. Sie züchten mit verschiedenen Methoden an verschiedenen Sorten, treffen sich in Fachgruppen, bonitieren und evaluieren ihre Arbeit und haben ein Sorten-Archiv mit samenfesten Sorten angelegt. Der auf den biologisch-dynamischen Prinzipien basierende Verein arbeitet gemeinnützig, übernimmt die Anmeldung beim Bundessortenamt (bisher rund 140 Zulassungen) und verzichtet auf Patente und Sortenschutz, damit die entwickelten Sorten allen Menschen zur Verfügung stehen. Somit ist er auf Fördergelder angewiesen – heute sind das etwa 1,6 Millionen Euro pro Jahr. Während Kultursaat e.V. forscht und entwickelt und sich als Einrichtung des Geisteslebens versteht, sind der Vertrieb von Saatgut und die Saatgutvermehrung bei der Bingenheimer Saatgut AG angesiedelt.

Acht Behandlungen

In den letzten Jahren hat Kultursaat nun – unterstützt von der Software AG-Stiftung – ein breit angelegtes Forschungsprojekt durchgeführt. Es läuft unter dem – allerdings ausgesprochen unhandlichen – Titel Erlebbarmachung von verschiedenen geisteswissenschaftlichen Ansätzen der Saatgutbehandlung in der biodynamischen Gemüsezüchtung mit Blick auf die Förderung der Reifefähigkeit. Konkret wurden an zwei Gemüsekulturen, Möhre und Spinat, im Frühjahr 2021 sogenannte Behandlungen – einmalige Einwirkungen auf das Saatgut – durchgeführt. Dabei wurden acht verschiedene Methoden angewandt, die von den acht beteiligten Persönlichkeiten bereits seit vielen Jahren erprobt worden waren. (Die Autorin dieser Zeilen war dank einer langjährigen meditativen Zusammenarbeit mit einem Kreis von Kultursaat-Züchter:innen eine der acht Behandelnden.)

Dabei lassen sich die acht Behandlungsweisen in drei Gruppen gliedern. Eine erste Gruppe arbeitete unmittelbar und „nur“ mit den Kräften der Natur, etwa durch die Eingrabung von Saatgut in der Winterzeit oder die spiralförmige Anordnung der Anbaufläche. Eine zweite Gruppe arbeitete mit Intervallen, die angesichts des Saatguts mit Klangstäben zum Klingen gebracht wurden, oder mit Eurythmiegesten, die mit dem Tierkreis in Verbindung stehen. Die dritte Gruppe wandte sich mit Meditation dem Saatgut zu, mithilfe einiger von Steiner gegebenen Spruchformen oder indem das innere Bild vom Wesen der Gemüseart aktiviert wurde.

Außer bei der ersten Gruppe handelte es sich also um einen einmaligen Akt von etwa 15 Minuten, fast um eine Handlung mit rituellem Charakter und starker innerer Verbindlichkeit der Behandelnden. Das Saatgut wurde ausgesät, der gewachsene Spinat und die Möhren in ihrer Nahrungsmittelqualität untersucht und einige Pflanzen zum Blühen gebracht. Das so gewonnene neue Saatgut wurde dann wieder ausgesät, beim einjährigen Spinat insgesamt drei Mal, bei der zweijährigen Möhre zwei Mal. So prägt sich die Behandlung auch dem Vererbungsstrom ein, wobei sie sich erfahrungsgemäß stabilisiert und harmonisiert.

Qualitative Untersuchungsmethoden

Und wie ist sie nun, die Wirkung solch subtiler Behandlungen? Sie ist vorhanden, aber zunächst müssen wir noch einen Blick auf die Untersuchungsmethoden werfen, die sich zumeist auch erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Da ist neben der klassischen Bonitur, die sich auf Aussehen, Größe, Geschmack etc. richtet, die Wirksensorik, bei der man die zu prüfenden Nahrungsmittel in kleinen Mengen isst und dabei die Wirkung auf die eigenen Lebenskräfte beachtet. Dann gibt es die bildschaffenden Methoden von Steigbild und Kupferchlorid-Kristallisation, die die Lebenskräftekonfiguration der Gemüseproben anzeigen sowie die Bildekräfteforschung, die über die Lebenskräftekonfiguration hinaus subtile Wirksamkeiten beobachten kann. Alle diese Untersuchungen wurden verblindet durchgeführt. Im Laufe der drei Jahre zeigte sich, dass die verschiedenen Untersuchungsmethoden dieselbe Wirksamkeit von verschiedenen Seiten beschreiben.

Nun endlich zur Wirksamkeit. Die Ergebnisse wurden im Januar 2025 im Rahmen einer Züchter-Tagung vorgestellt. Bei allen Behandlungen konnten Veränderungen, auch durch die Jahre hindurch, festgestellt werden, durchwegs vitalisierend, stärkend und fördernd. Die Gesamtcharakteristik reicht von „Erdverbunden und himmelsoffen, kräftigend und harmonisch integrierend“ über „Spinat- und Möhrentypisches ist verfeinert, dabei sanft und harmonisch verbunden“ bis „Starke Impulsierung in Richtung Tatkraft/Wollen, weniger kulturarttypisch“. Es kommen also durch die verschiedenen Behandlungsmethoden verschiedene Qualitäten zum Ausdruck; es zeigt sich dabei, dass die naturnahen Methoden die Behandlung am zügigsten integrieren und die meditativen Behandlungen den Charakter der Kulturpflanze leicht überformen können.

Also im Feintuning bleibt noch einiges zu tun. Und auch der Nachweis bis in die Stofflichkeit hinein steht noch aus – es hat aber auch bei den biologisch-dynamischen Präparaten sehr lange gedauert, bis man im Mikrobiom die Stofflichkeit gefunden hatte, die einen materiellen Nachweis ermöglicht. Im Prinzip zeigt das Forschungsprojekt durch seine breiten Qualitätsuntersuchungen, dass solch subtile Behandlungen tatsächlich wirken und von den Kulturpflanzen angenommen werden. Sie wirken sich, ganz anders als die gentechnisch veränderten Sorten, nicht destruktiv aus, sondern fügen sich konstruktiv in den Naturzusammenhang ein und steigern die Nahrungsmittelqualität auf eine dem Menschen angemessene Weise.

Noch nimmt das samenfeste, bei Kultursaat entwickelte Saatgut, sei es nun wie oben beschrieben behandelt oder klassisch durch Kreuzung und Selektion entstanden, nur einen geringen Teil des Bio-Gemüseanbaus ein. Für die Erhaltung der Lebensmittelqualität und die positiven Wirkungen auf den Naturzusammenhang wäre es wichtig, diesen Anteil deutlich zu steigern – auch wenn es etwas teurer ist. Hier können alle Verbraucher:innen durch die Nachfrage nach samenfesten Sorten einen Beitrag leisten. ///

Mehr über die Aktivitäten von Kultursaat: www.Kultursaat.org Umfassende Informationen zum Thema Züchtung im ökologischen Bereich gibt es auch bei der Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand: www.Zukunftsstiftung-Landwirtschaft.de

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe info3 Mai 2025.

Über den Autor / die Autorin

Anna-Katharina Dehmelt

Anna-Katharina Dehmelt, Jahrgang 1959, studierte Musik, Wirtschaftswissenschaft und Anthroposophie. Sie hat intensiv auf dem Feld der anthroposophischen Meditation gearbeitet, geforscht, vernetzt und anthroposophisches Meditieren bekannt gemacht, zuletzt auch mit dem von ihr begründeten Institut für anthroposophische Meditation. Zudem ist sie Dozentin an verschiedenen anthroposophischen Ausbildungsstätten.
Seit Mai 2021 ist sie Redakteurin bei info3.