“Vertrauen ist die beste Kosmetik!”

Susanne Hofmeister
Susanne Hofmeister. © Frank Schubert. Zeitschrift info3

Als Ärztin und Biografieberaterin hat Susanne Hofmeister viele Frauen durch die Wechseljahre begleitet. Ein Gespräch über die Chancen einer besonderen Lebensphase und die Suche nach dem Zukunfts-Ich.

Frau Hofmeister, Sie sind sowohl Ärztin als auch Biografieberaterin – eine ideale Ausgangsbasis für das Thema Wechseljahre. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Begleitung von Frauen gemacht?

Während wir heute sprechen ist draußen ein warmer August-Sommertag – das ist eine Stimmung, die schön für die durchlaufenen Wechseljahre passt! Die meisten Früchte sind reif und geerntet. Es ist windstill. Die Sonne scheint stark und ruhig. Vieles ist möglich aus dieser kraftvollen Stimmung. Wenn wir über die Wechseljahre sprechen, finde ich es wichtig, dass man einerseits nicht versinkt in all dem, was diese Phase mit sich bringt an Beschwerden und Verlust. Auf der anderen Seite sollten wir auch nicht glorifizieren, wie toll diese Phase ist. Wie so oft liegt im Dazwischen der Weg.

Körperlich gesehen dürfen wir gerade als anthroposophische Ärztinnen den Frauen einerseits unser ganz besonderes Verständnis entgegenbringen, und sie andererseits aufklären darüber, dass sich in der Zeit der Wechseljahre das zurückzieht, was wir die Äther- oder Lebenskräfte nennen. Ich unterscheide biografisch drei Pubertäten, in denen es immer um das Erringen einer neuen Reife geht. Die erste Pubertät führt uns ins biologisch-geschlechtliche Leben hinein, ab da können wir Eltern werden und das ist verbunden mit großen Hormonveränderungen und großen Gefühlsschwankungen, wie ein Schiff auf hoher See. Mit dem volljährigen Ich-Erleben endet diese Phase. In der zweiten Pubertät stecken wir in der Lebensmitte-Krise mit ihrer ganz eigenen Emotionalität. Wollen wir den Schritt in die Selbstreflexion machen und den Unterschied zwischen Egoität und Ich bewusst steuern lernen? Und die dritte Pubertät beginnt in den Wechseljahren, sie führt uns aus dem generationellen Familienleben wieder hinaus. Gelingt es uns, diese Tür zu öffnen, beginnt eine neue Phase der Selbstverwirklichung.

Bei den Männern ist es etwas anders, aber bei uns Frauen sind die Wechseljahre ein Abschied aus der Lebens-Sphäre, der wieder verbunden ist mit großen Hormon- und Gefühlsschwankungen. Dieser Abschied wird von Frauen oft als großer Schmerz empfunden, weil wir uns als eine leiblich-seelische Einheit sehr mit dieser Form des Frauseins identifiziert haben. Stellen wir uns nur vor, was bei der Frau in ihrem Zyklus über einen so langen Zeitraum immer monatlich passiert ist. Mein Mann ist Architekt und hatte auch große Projekte, wo dann Tag und Nacht gebaut wird. Und mir kam der Vergleich: Der Zyklus der Frau ist fast wie eine Großbaustelle, und zwar auf allen Ebenen! Die Schleimhaut wird erst aufgebaut, der Eisprung setzt ein, dann die Blutung, und alles wird wieder „abgebaut“. Mit den Hormonen und in der Hypophyse wird das ganze Projekt gesteuert. All das ist ja ein riesiger Betrieb, mit dem wir Frauen in all seinen Schwankungen leben und jede Frau kommt mehr oder weniger gut mit diesem Zyklus-Geschehen zurecht. Und dann Stück für Stück läuft mit den Wechseljahren diese Großbaustelle aus, bis sie ganz zum Stillstand kommt. Enorme Kräfte – Lebenskräfte – werden mit einem Mal nicht mehr benötigt.

Bleiben die Lebenskräfte in anderen Bereichen weiter erhalten?

Ja, die Lebenskräfte arbeiten in zwei Richtungen: In der Kindheit führen sie zum Wachstum, wir brauchen sie für die Verdauung, für die Regeneration und schließlich in der Schwangerschaft. Und dann gibt es den leibfreien Anteil, der unserem Denken dient, der uns die Kraft schenkt für all unser Tun. In den Zyklus-Vorgängen war eben doch ein relativ großer Anteil der Lebenskräfte gebunden. Und darin liegt dann auch die Chance der Frauen in den Wechseljahren, im Unterschied zu den Männern. Die Chance ist, dass ein ganzes Paket an Lebenskräften aus der körperlichen Gebundenheit frei wird. Dabei entsteht dann aber auch das Risiko, dass die freiwerdenden Kräfte sozusagen nichts zu tun bekommen. Ich denke, dass damit viele Beschwerden von uns Frauen in den Wechseljahren zusammenhängen. Selbstverständlich müssen alle auftretenden Beschwerden sehr ernst genommen werden! Und gleichzeitig gilt, dass in dieser Phase unser Ich eine neue Art der Führung übernehmen und neue Visionen und Ziele für sich finden muss, damit die Lebenskräfte eine neue Aufgabe bekommen. Hier kommt das Zukunfts-Ich ins Spiel – kann ich den Ruf meines Zukunfts-Ichs hören? In dieser Zeit werden die Kinder oft erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. So entsteht ein neuer Freiraum, ich kann mich einer neuen, selbst gestellten Aufgabe verpflichten und daran wachsen. Es geht um den Schritt von der Frau zum weiblichen Menschen. Und mit einem Schmunzeln möchte ich anmerken, dass es nicht ausreicht, auf die Enkel zu warten oder sich einen Hund zuzulegen. Da kommen spirituelle Fragen hinzu: Was waren meine Herzensthemen bisher im Leben? Was wollte ich eigentlich? Jetzt kann ich in die Selbstermächtigung gehen und meine ur-eigenen Themen neu verfolgen.

Viele Frauen sind aber doch ohnehin bei Einsetzen der Wechseljahre schon nicht mehr nur auf ihre Familien orientiert, sondern sind berufstätig. Hat das, was Sie als Zukunfts-Ich bezeichnen, noch eine darüberhinausgehende Qualität?

Ja, es ist die radikale Frage danach, was mein eigentliches Potenzial ist. Das ist eine sehr moderne Frage, die unserer jahrhundertelangen Konditionierung widerspricht, die ja dahinging, eher dienende Aufgaben zu übernehmen, die von einer Frau erwartet wurden. Ich erinnere hier daran, dass Rudolf Steiner schon in der Philosophie der Freiheit von 1894 formulierte, was die Frau ihrer Natur nach will, das überlasse man der Frau selbst zu beurteilen. Als Frauen sind wir sehr im Seelischen beheimatet, wir haben die Neigung, immer aus dem Gefühl heraus zu agieren. Den Abschiedsschmerz, wenn es darum geht, die Kinder loszulassen – den kann sich, glaube ich, kein Mann vorstellen! Das ist schwer und als Frau kann ich da leicht in der Wehmut steckenbleiben. Selbst wenn ich beruflich erfolgreich bin, bedeutet das einen richtig schweren Abschied, der im Innen eine grundsätzliche Neuorientierung erfordert.

Wie kann das konkret aussehen?

Bei Frauen in meiner Beratung erinnere ich mich zum Beispiel daran, dass sich neue, erweiterte Aufgaben, Führungsmöglichkeiten aufgetan haben. Wenn diese Öffnung möglich wird, kann es wirken, als würde die Welt einem einen roten Teppich ausrollen. Bei mir persönlich war es so, dass ich genau in dieser Phase unerwartet einen Anruf bekam, ob ich Biografiearbeit in Malaysia machen wollte!

Wie haben Sie reagiert?

Alles in mir hat gesagt: Das mache ich nicht! Und ich musste mir natürlich eingestehen: Susanne, wenn du jetzt authentisch zu dem stehen willst, was du deinen eigenen Klientinnen erzählst, dann musst du jetzt auch selbst so handeln. Und ich habe dann doch ja gesagt und das war ein Sprung ins kalte Wasser, ja, das war mein roter Teppich. Daran habe ich erkannt: Unser Zukunfts-Ich kommt nicht so, wie wir es uns vorstellen oder erwarten. Es ist immer ein Sprung ins Neue.

Die Wechseljahre stellen für viele Frauen, auch abgesehen von Kindern und Familie, das Frau-Sein insgesamt in Frage, weil bestimmte Qualitäten, ein bestimmtes Aussehen oder Attraktivität, nicht mehr so gegeben scheinen. Was kann gegen solche Verunsicherungen des Selbstwertgefühls helfen?

Ich hatte eine Frau in der Beratung, die sich nie so sehr über ihr schönes Aussehen definieren konnte, und die sagte sich: Mir macht dieser Wechsel eigentlich relativ wenig aus, ich sehe jetzt mehr das Potenzial als einen Verlust. Aber es gibt natürlich meistens das Problem, dass man sich als Frau stark über sein Äußeres definiert hat, ich nenne das auch oft das „Große-Schwester-Syndrom“, wo man verkrampft versucht, sich an einem äußeren Ideal zu orientieren – aber die Gefahr ist groß, dass das in Enttäuschung und Verbitterung mündet. Das Festhalten an äußeren Schönheitsidealen ist ja auch sehr anstrengend, es braucht viel Kontrolle – und das führt dann erst recht zu vielen Falten! Dagegen kann ich versuchen, den Schritt in eine charismatische, reife Frauenfigur zu gehen. Es ist, im Bilde gesprochen, der Schritt von der Prinzessin zur Königin. Dann lebe ich in Zuversicht und Vertrauen, ich lasse meine Erwartungen an die Außenwelt los und lebe mehr aus meinem eigenen Zentrum. Das kann dann zu einer Entspanntheit führen, die auch die Falten glättet. Ja, ich möchte sagen: Loslassen und Vertrauen ist die beste Kosmetik in den Wechseljahren! Meine Großmutter hat immer gesagt: Die schönsten Jahre im Leben einer Frau sind die zwischen 50 und 60. Man ist nicht mehr seinen Gefühlen und seinen Pflichten ausgesetzt, hat aber eine neue Gelassenheit und Souveränität.

Noch ein weiterer Aspekt: die mit den Wechseljahren eintretende Entkoppelung von Erotik und Reproduktivität hat doch nicht nur Nachteile?

Nein – es ist ja wirklich nicht so, dass es mit der Sinnlichkeit vorbei wäre, sie kommt aber in einen freieren Bereich. Und auch die reife Partnerschaft bekommt eine neue Qualität durch ein neues Zusammenspiel von Nähe und Distanz, weil man beides freier gestalten kann. Und es braucht ja beides! Wer sich im Seelischen verhakt, kann weder nah sein noch fern.

Ich möchte die Frauen ermutigen, ihr eigenes Charisma zu finden, den Mut zur eigenen Biografie zu nutzen – auch mit Hilfe von Coaching. Denn anders als im Gespräch mit Freundinnen entsteht beim Coaching eine objektive Ebene, die viel tiefer gehen kann.

In Ihrer Beratung ziehen Sie auch das Menschenbild der Anthroposophie heran. Welche Erfahrungen machen Sie bei Menschen, die dieses Menschenbild nicht kennen?

Ich denke, die entscheidende Tür, die ins Spirituelle führt, ist die Zukunft selbst. Zukunft hat immer einen spirituellen Charakter, weil ich über etwas spreche, das werden möchte. Denn, wie heißt es so schön: Mein Gedanke von heute ist meine Realität von morgen. Ich komme also, wenn ich die Zukunft einbeziehe, wie von selbst zu einem spirituellen Menschenbild.

Ohne dass man es voraussetzen müsste?

Im Gegenteil, diese Dimension wird einfach entdeckt und die Frauen erleben eine große Dankbarkeit, wenn sie bemerken: Dein Zukunfts-Ich erwartet dich! Da beginnt wirklich etwas Neues. Und all das, was mit dem Schöpferischen und mit der Zuversicht zusammenhängt, das zieht auch positive Energien auf der Ebene der Lebenskräfte an, welche die Beschwerden der Wechseljahre in ihre Schranken weisen können. Dieser manchmal auch anstrengende Prozess lohnt sich, denn vergessen wir nicht: Zu diesem Zeitpunkt haben wir ja noch 30 Jahre vor uns! ///

Interview: Jens Heisterkamp


Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift info3, Ausgabe Oktober 2025.

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