Bislang zielten die meisten gentechnischen Methoden an Tieren und Pflanzen darauf ab, Gene aus anderen Pflanzen oder Tieren „irgendwie“ in die DNA des jeweiligen Organismus einzuschleusen. Man nutzte dazu Viren oder Bakterien, die diese DNA an einer beliebigen Stelle „aufschneiden“ und die Fremdgene in die entstehende Lücke der Ziel-DNA einbauen oder man „belädt“ Goldkügelchen mit den Fremdgenen, schießt sie in den Zellkern einer Zelle und hofft, dass diese irgendwie in die Ziel-DNA integriert werden. Vergleichen ließe sich all das mit der Copy-and-Past-Funktion eines sehr unvollkommenen Textverarbeitungsprogrammes, das einen kopierten Textabschnitt „irgendwo“ in den fertigen Text einfügt. So wie dieser Textabschnitt wahrscheinlich sinnvolle Sätze unterbrechen und selbst völlig aus dem Sinnzusammenhang gerissen würde, können durch das ungezielte Einschleusen der Fremdgene wichtige genetische Informationen in der Ziel-DNA verloren gehen oder die Fremdgene selbst funktionsuntüchtig bleiben. Diese Methode war in der Pflanzengentechnik dennoch durchaus erfolgreich. Man baute Gene in viele Nutzpflanzen ein, die diese beispielsweise resistent gegen Krankheitserreger oder Herbizide machten oder den Gehalt an bestimmten Nährstoffen und Vitaminen positiv beeinflusste. Viel seltener gelangen entsprechende Experimente an Tieren. Hier scheint der „Sinnzusammenhang“ eines Genes noch weit wichtiger zu sein, um seine genetische Information irgendwie zur Erscheinung zu bringen. Und am Menschen würde kein ernstzunehmender Wissenschaftler solche Experimente wagen, weil das Risiko von Kollateralschäden am Erbgut durch das unkontrollierbare Stückwerk viel zu hoch wäre.
“Genscheren” im Einsatz
Auf der anderen Seite gab es bislang in der Gentechnik auch nur sehr unvollkommene Methoden, um bestimmte Gene gezielt „auszuschalten“. Schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts nutzt man radioaktive Strahlung oder bestimmte Chemikalien in der Tier- und Pflanzenzüchtung, um ökonomisch „interessante“ Eigenschaften von Lebewesen hervorzubringen. Aber auch diese Methode beruht zumeist darauf, dass völlig zufällig bestimmte Gene oder genregulierende DNA-Abschnitte außer Gefecht gesetzt werden, ohne dass man diese Effekte auch nur ansatzweise verstehen würde oder gar kontrollieren könnte. Zwar nutzt man in der Bakteriengentechnik seit den 80er Jahren „Genscheren“ (im Fachjargon Restriktionsenzyme), die gezielt bestimmte Stellen des Erbgutes zerschneiden, doch sind diese, abgesehen von Schwierigkeiten ihrer Anwendung an tierischen und pflanzlichen Zellen, viel zu „ungenau“, um sie an Tieren, Pflanzen oder gar Menschen nutzen zu können. Sie schneiden die DNA einfach an bestimmten, sehr kurzen Abfolgen der Basen der DNA – vergleichbar vielleicht mit der Delete-Funktion unseres unvollkommenen Textverarbeitungsprogrammes, das jedes Wort mit der Buchstabenfolge „ver“ löschen – und den fassten Text unzüglich unständlich machen würde.
Solche „Genscheren“ stellen Bakterien normalerweise selbst her, um Viren unschädlich zu machen. Diese Viren „spritzen“ bekanntlich ihre eigene DNA in die Bakterien, um sie zur Produktion neuer Viren „umzuprogrammieren“, wodurch die Bakterien schließlich absterben. Mit diesen „Genscheren“ zerschneidet das Bakterium die Virus-DNA, so dass diese Umprogrammierung nicht stattfinden kann. In den 1980er Jahren entdeckte man jedoch einen noch weitaus raffinierteren Mechanismus, mit dem sich Bakterien gegen Viren verteidigen, eben den CRISPR/Cas9-Komplex. Dringt Virus-DNA in die Bakterienzelle ein, so „speichert“ das Bakterium 20 bis 70 Basenpaare lange Ausschnitte der genetischen Information des Virus in ihrer eigenen DNA. Aus diesen Ausschnitten stellt es die CRSPR-RNA her, die sich mit einer besonderen Art von „Genschere“, nämlich dem Cas9-Protein, verbinden kann. Wird das Bakterium noch einmal von diesem Virus befallen, nutzt das Cas9-Protein die CRISPR-RNA, um die Virus-DNA aufgrund der gleichen Basenfolge zu erkennen, zu zerschneiden und so unschädlich zu machen. Der Schnitt kann jetzt hochspezifisch erfolgen, weil die Basenfolge präzise einem recht langen Abschnitt der Virus-DNA entspricht.
Erbinformationen austauschen
Hatte man diesen Mechanismus erst einmal entdeckt, dann lag es auf der Hand, dass man das Cas9-Protein statt mit Virus-RNA mit jeder beliebigen Basenfolge „füttern“ und der entsprechende CRISPR/Cas9-Komplex jedes DNA-Molekül sehr genau an einer vorher bestimmten Stelle schneiden kann. Im Zusammenspiel der beiden Moleküle ergibt sich also so etwas wie die Suchfunktion eines Textverarbeitungsprogrammes. Man braucht nur das Wort „Shavenbaby-Knockout-Mutante“ in das CRISPR-Feld eingeben und die Cas9-Suchfunktion wird das Wort im nebenstehenden Text finden und schneiden: „Shavenbaby-Knock out-Mutante“. Und natürlich funktioniert ein solcher CRISPR/Cas9-Komplex auch in pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Zellen. Im Gegensatz zum Text in einem Textverarbeitungsprogramm belässt es eine Zelle allerdings nicht bei einem „Leerzeichen“ zwischen den zerschnittenen Wortteilen, sondern „repariert“ die für sie lebensgefährliche Bruchstelle der DNA. Dabei entstehen allerdings fast immer Fehler – eben Mutationen – die das entsprechende Gen funktionsunfähig machen. In unserer Analogie wird aus „Shavenbaby-Knockout-Mutante“ vielleicht „Shavenbaby-Koch-Mutante“. Anders als bei der konventionellen Mutagenitätszüchtung tritt diese Mutation aber zielgerichtet an einer vorher festgelegten Stelle und optimaler Weise nirgendwo sonst im gesamten Erbgut der Zelle auf – es sei denn das Wort kommt wie in unserem Text mehrmals vor. Dann kann es dennoch zu einer „Off-Target-Mutation“ kommen, also zu einem unbeabsichtigten Schnitt an der „falschen“ Stelle des Erbgutes, wie man ihn auch bei He Jiankuis Experiment vermutet.
Für die genetische Forschung ist diese Methodik ein Durchbruch von unschätzbarem Wert. Nun kann man in Tieren und Pflanzen jedes beliebige Gen oder jeden genregulierenden DNA-Abschnitt zielgenau „abschalten“, die Konsequenzen des Ausfalls bestimmter Erbinformationen genau studieren und somit Einsichten in ihre Funktion gewinnen. Man kann aber mit der CRISP/Cas9-Methode auch neue Gene in das Erbgut einer Zelle einschleusen. Spritzt man in die Zelle neben dem Cas9-Protein und der CRISPR-RNA nämlich noch ein DNA-Molekül, das an den beiden Enden die gleichen Basen wie die Schnittstelle hat, wird dieses Molekül von der Reparaturenzymen als vermeintlich verlorengegangenes Stück des Originals „erkannt“ und eingebaut. Es ergibt sich eine (geringfügig umständliche) Copy-Past-Funktion wie in einem Textverarbeitungsprogramm. Man trägt in das Suchfeld (CRISPR-RNA) „Shavenbaby-Knockout-Mutante“ und in das Ersetze-Feld „eine rasierte Larvenmutante der Taufliege“ (also das Suchwort mit den nebenstehenden Wörtern) ein und erhält im Text die gewünschte Änderung. Anders als mit den bisherigen Methoden der Gentechnik kann man also neue Gene nicht nur „irgendwo“ in das Erbgut „hineinschießen“, sondern zielgerichtet bestimmte Gene durch andere Gene ersetzen – ein erheblicher Fortschritt in der Pflanzengentechnik und eine Revolution für die Gentechnik an Tieren – und am Menschen?