Die Kamera folgt der Hauptdarstellerin Leonie Benesch auf Schritt und Tritt. Sie tut das, was Pflegekräfte im Alltag in einem Krankenhaus eben tun. Sie pflegt, säubert, verabreicht Medikamente, erklärt, vertröstet – und tröstet die Patienten. Die quasi dokumentarische Fiktion erzeugt einen erstaunlichen Sog. In der auch aus Krankheitsgründen unterbesetzten Spätschicht arbeitet sie an gegen eine nicht enden wollende Vielfalt an Aufgaben, die alle gleichzeitig erledigt werden sollen. Mit einer Engelsgeduld hilft sie den Patienten, und ihr körperliches und seelisches Engagement spiegelt sich subtil im Blick ihrer großen, ausdrucksstarken Augen. Die Forderungen, die Ungeduld, die Erwartungen – auch die an sich selbst – lasten immer schwerer auf ihren Schultern, bis sich das Ganze, auch zur großen Erleichterung der Zuschauer, in einer impulsiven Handlung entlädt. Der Erst-Klass-Patient hat auf seiner 40.000 Schweizer Franken teuren Uhr gestoppt wie lange es dauert, bis sie ihm endlich den schon lange bestellten Pfefferminztee bringt und macht sie deswegen an – da reißt ihr der Geduldsfaden.
Zu dem Film habe ich mehrere fast persönliche Bezüge. Ich habe selber mal in der Pflege gearbeitet. Die Hauptdarstellerin Leonie Benesch, eine ehemalige Waldorfschülerin und inzwischen sehr bekannte Schauspielerin (u.a. Das Lehrerzimmer, September 5), die Tochter eines Pfarrers der Christengemeinschaft, ist schon als Kind aufgebahrten Toten begegnet – ebenfalls eine zentrale Stelle des Films. Oft sind ja die Pflegenden die ersten und die letzten, die uns als Mensch berühren. Gefilmt wurde in einem Krankenhaus in meiner Heimatstadt Basel. Einer der älteren Darsteller, Urs Bihler, hat lange am Basler Theater gespielt und früher auch einmal im Faust am Goetheanum als Mephisto.
Im Anschluss an die erste Aufführung in Kassel fand eine Diskussion mit der anwesenden Schweizer Regisseurin Petra Volpe statt. Es waren offensichtlich viele Fachleute in eigener Sache anwesend, die den Film, auch seiner Authentizität wegen, sehr lobten. Er zeige eben beides, die extreme Belastung, aber auch das menschlich besonders Schöne an dem Beruf. Die Regisseurin erzählte von ihrer Absicht und Hoffnung, den Film im Deutschen Bundestag zeigen zu können.
Ich konnte mit beiden Gruppierungen mitfühlen, mit den belasteten Pflegenden, aber meine eigenen Krankenhausaufenthalte lassen mich auch die Patienten-Perspektive verstehen. Wenn man viele Stunden, ja Tage auf den überlasteten Arzt wartet und einfach keine Informationen erhält, kann das auch sehr frustrierend sein. Was muss man tun, um als Patient kein „Arschloch“, wie es im Film genannt wird, zu sein, fragte ich in der Diskussion. Petra Volpe lächelte milde und meinte: „Das wissen sie schon selbst.“ Stimmt eigentlich.
Ist die Protagonistin nun eine Heldin? Ja, aber sie sollte keine sein müssen. Am Ende der Schicht und des Films rennt die Pflegefachfrau zum Bus und lässt sich erschöpft auf den Sitz fallen. Da setzt sich unvermittelt eine Frau neben sie, die man nur von hinten sieht und dennoch an ihren Haaren und dem Halstuch erkennt. Es ist die eben in der Schicht verstorbene Patientin, der sie durch eine achtsame und würdevolle Aufbahrung einen letzten mitmenschlichen Dienst erwiesen hat. In Verbundenheit lehnt sie ihr Haupt an deren Schulter und fährt nach Hause.
„Heldin“ ist ein schweizerisch-deutscher Spielfilm von Petra Volpe aus dem Jahr 2025. Das Drama stellt eine junge Pflegefachfrau in den Mittelpunkt, deren Dienst in einem Krankenhaus allmählich außer Kontrolle gerät. Der Film wurde bei den internationalen Filmfestspielen in Berlin (Berlinale) uraufgeführt.