Ich fand die Krönung von Charles III. toll!
Gut, das Königshaus kostet den Staat ziemlich viel Geld, so konnte man erfahren. Aber es ist alles relativ. Umgerechnet auf die gut 60 Millionen britischen Bürger, sei es ungefähr so viel wie ein bis zwei Flaschen Milch pro Person und Jahr. Das spendieren wir dem König doch gerne. Die Summe wird gleich mit der Steuer bezahlt, ist ja auch viel praktischer, als wenn jeder mit den Flaschen selber zum Palast pilgern würde. Im Übrigen wurde im Vorfeld betont, dass die Krönung, passend zu Charles‘ Image, bescheidener und auch nachhaltiger ausfallen solle. Im Radio hörte ich dann, das Öl für die Salbung sei vegan und die Hermeline seines Umhanges seien schon lange tot. Da fiel mir ein Stein vom Herzen!
Ich schaue tagsüber eigentlich nie fern, aber an diesem Tag war ich allein zu Haus, machte mir Schnittchen und setzte mich mittags vor den Fernseher, um mir die Krönung anzusehen. Ich habe es nicht bereut! Es ist doch eine wunderbare historische Inszenierung, herrlich die Architektur der Westminster Abbey, die Kleider und Hüte der Gäste, die einstudierten Abläufe, die Chöre und Instrumentalmusiken, die symbolisch aufgeladenen Insignien der Macht, die, wie dauernd betont wird, ja keine mehr ist, der Reichsapfel, die beiden Szepter, das mit Edelsteinen besetzte Schwert, die güldenen Gewänder und endlich die beiden Kronen, die Charles und Camilla aufgesetzt werden. Wir schreiben das Jahr 2023. Wo gibt es das noch.
Und das alles in der Nachfolge Christi, der, wie von den Geistlichen während des Krönungsgottesdienstes laufend betont wird, allem weltlichen Reichtum und aller Macht entsagt hat. Diese Ironie dürfte dem sympathischen Charles nicht ganz entgangen sein. Überraschend, wie Gott für das Spektakel eingespannt wird. Sonst sind wir uns ja seiner Existenz nicht mehr so ganz gewiss in der heutigen Zeit, aber abgesehen davon lassen die geistlichen Protagonisten keinen Zweifel daran aufkommen, dass ER sich besonders für Großbritannien und hier speziell für Charles interessiert und SEINEN Segen spendet. Charles, gefragt, ob er an Gott glaube, würde sicher sagen: Whatever believe means…
Ich mochte ihn schon immer mit seinem Humor und der leicht schrulligen Selbstironie. Ob er sich der gewohnt ironischen Kommentare einfach enthalten hat oder ob er in dieser Stunde ganz unironisch ernst war, ist schwer zu sagen. Jedenfalls war es ein anschauliches Beispiel für das Problem jeglicher Repräsentanz. Mit jedem Gewand, das ihm umgehängt wurde, mit jedem Signum, das er tragen musste, schmolz das Individuelle seiner Persönlichkeit mehr dahin und er bekam, gesalbt, etwas allgemein Puppenhaftes, wobei er zunehmend einsam und traurig wirkte. Es erinnerte ein wenig an den König im Kleinen Prinzen, der machtlos und ohne Volk alleine auf seinem kleinen Planeten sitzt und – herrscht.
Die HNA erinnerte daran, dass Charles vor 26 Jahren hier in Kassel mit dem Hubschrauber im Bergpark Wilhelmshöhe landete, in eine gepanzerte Limousine umstieg und in das winzige Lädelchen „Schmanddibben“ des Bio-Laden-Pioniers Hans-Georg Greger fuhr (bei dem wir auch heute noch gerne und gut einkaufen), um bei einem Fachgespräch ein kleines Stück Vollkornbrot zu verkosten. Die Begeisterung über den damaligen „Ritterschlag für die Bio-Branche“ lebt hier noch heute fort. Mich erinnert das an meinen Besuch auf einem Demeter-Hof mit Sozialtherapie anlässlich einer Vortragsreise wenige Jahre davor durch Großbritannien. Im Gewächshaus machte mich der Gastgeber, noch ganz ergriffen, darauf aufmerksam: „Hier stand ER, genau wo sie jetzt stehen, vor 14 Tagen!“ God save his Charisma.