Künstliche Intelligenz und Menschsein

Künstliche Intelligenz und Menschsein
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KIs verbreiten sich rasant und übernehmen immer größere Aufgaben, die bisher Menschen vorbehalten waren. Wie können wir uns darauf vorbereiten, damit umgehen und wo möglich hilfreich eingreifen? Unsere Autorin bewegt diese Fragen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen.

Ich bin auf Jobsuche. Um nichts zu verpassen, habe ich mich bei unzähligen Jobportalen registriert, habe Suchfilter angelegt, mich für Newsletter angemeldet. Täglich landen Mails mit Jobangeboten in meinem Postfach. Fast schon automatisch öffne ich sie, überfliege die Listen. Es fühlt sich an wie ein Glücksspiel, bei dem ich noch kein einziges Mal gewonnen habe. Das meiste ist unbrauchbar.

Auch als Studentin habe ich immer wieder nach Nebenjobs gesucht, ich kenne die übertrieben euphorischen Texte über „motivierte Teams“, „spannende Herausforderungen“ – Werbetexte für „Jobs, in denen man wirklich was bewegen kann“ – meist bin ich schon nach kurzer Zeit so leer im Kopf, dass von all dem kaum noch etwas bei mir ankommt. Doch irgendetwas ist diesmal anders. Immer wieder lese ich: „KI-Trainer:in (m/w/d)“ oder auch „Sprachtrainer:in für KI gesucht“. Seit das Forschungslabor OpenAI vor knapp drei Jahren den KI-Chatbot ChatGPT veröffentlichte, scheint ein komplett neues Berufsfeld entstanden zu sein.

Meine Suchfilter bestehen aus Kategorien wie Sprache, Redaktion, Literatur, Geisteswissenschaften. Hier werden Menschen gesucht, die ein gutes Gefühl für Sprache haben, die vielleicht als Übersetzerin arbeiten, als Lektor oder Journalistin. Menschen, die von der Sprache leben. Noch. Sollen sie sich mit ihren neuen Jobs selbst das geistige Wasser abgraben, solange sie noch differenzierter sprechen können als die Maschine?

Arbeitswelt im Wandel

Von Geburt an sind wir als Menschen in eine Welt geworfen, die sich wandelt, in der wir uns selbst wandeln können und müssen. Blickt man auf die Gesellschaft als ganze, sind es insbesondere technische Innovationen, die vom Zeitpunkt ihrer Erfindung an eine sprunghafte kollektive Anpassung erfordern. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich Anfang der 2010er Jahre von meinem Freiwilligendienst zurückkam und plötzlich alle Smartphones hatten. Irgendwann gab auch ich nach – endlich war ich Teil der Gruppenchats und meine Freundinnen das lästige SMS-Schreiben los. Heute, nur wenige Jahre später, scheint es kaum noch möglich, im Alltag mithalten zu können, ohne das Internet ständig griffbereit zu haben.

Anhand der Arbeitswelt werden solche Neuerungen deutlich sichtbar: Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen sich Unternehmen ständig technisch weiterentwickeln. Man denke nur daran, wie omnipräsent digitale Anwendungen im Arbeitsalltag inzwischen sind – als Kommunikationsmittel, Archiv, Informationsquelle. Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt vermutlich noch fundamentaler auf den Kopf stellen als alles, was wir bisher kennen. Neu an KI – und nicht minder beängstigend – ist, dass schon bald mehr Menschen als je zuvor ihre Jobs verlieren könnten. Und dieses Mal sind es nicht ihre Hände oder ihre Körper, deren Aufgaben Maschinen übernehmen. Diesmal ist es ihr Denkvermögen. Wie werden wir es verkraften, wenn wir plötzlich nicht mehr gebraucht werden? Was wird uns Sinn und Selbstwert geben? Womit werden wir in Zukunft Geld verdienen? Diese Fragen machen ratlos. Noch fehlt es uns an Perspektiven, wie wir die freigewordene Arbeitskraft sinnvoll einsetzen könnten.

Gegenwärtigkeit und Unsicherheit

„Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die angezeigte Ankunftszeit unseres Zuges fehlerhaft ist. Da hat sich die KI wohl geirrt. Wir bitten dies zu entschuldigen und wünschen Ihnen noch eine angenehme Weiterfahrt.“ Diese Durchsage im ICE, irgendwo bei Fulda, reißt mich nicht nur durch ihre scheppernde Lautstärke aus dem Halbschlaf – mir wird mit einem Mal auch bewusst, wie real künstliche Intelligenz schon ist. Dem Statistischen Bundesamt zufolge nutzten sie Ende vergangenen Jahres bereits 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland, mit steigender Tendenz. Am häufigsten kommen dabei Technologien zum Einsatz, die dabei helfen, Sprache besser zu analysieren, zu erkennen oder sie zu erzeugen. KI kann Texte zusammenfassen, gesprochene Sprache in Schrift umwandeln und andersherum, wie etwa bei automatischen Hotline-Ansagen. Längst geht der Gebrauch von künstlicher Intelligenz also über den Ratschlag „frag doch einfach ChatGPT“ hinaus. Längst ist sie mehr als ein bloßes Bequemlichkeitstool. Längst wird sie als Merkmal eines neuen Zeitalters diskutiert und löst, wie ich aus Gesprächen immer wieder heraushöre, bei vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit aus.

Als sich vor gut 15 Jahren eine kleine Gruppe von Entwicklern in London zusammenfand und das Unternehmen DeepMind gründete, das mittlerweile zu Google gehört und an der Programmierung einer künstlichen Intelligenz arbeitet, war die gegenwärtige Verunsicherung noch keineswegs absehbar. „Unser Ziel, das sich rückblickend immer noch so ambitioniert, verrückt und hoffnungsvoll anfühlt wie damals, war: genau das zu replizieren, was uns als Spezies einzigartig macht, unsere Intelligenz“, schreibt Suleyman Mustafa in The Coming Wave. Ein Algorithmus, der nach den Regeln unserer Denkfähigkeit agiert, könnte dabei helfen, die Probleme zu lösen, denen wir als Gesellschaft kaum noch gewachsen scheinen: Klimawandel, Überalterung, nachhaltiges Wirtschaften. So die hoffnungsvollen Ambitionen der ersten Stunde künstlicher Intelligenz. Wie gefährlich die selbstlernende Technologie werden könnte, dass sie in der Lage sein würde, Krankheitserreger künstlich herzustellen oder die zivile Infrastruktur durch Cyberangriffe lahmzulegen, war damals für Suleyman und seine Kollegen in weiter Ferne.

Angesichts einer solchen Bedrohung stellt sich grundlegend die Frage: Wie gehen wir als Menschen mit dieser Verselbständigung um? Wie behaupten wir uns gegen eine menschenähnliche Maschine? Es kann dabei nicht darum gehen, die Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz aufhalten zu wollen. Vielmehr geht es darum, einen Umgang zu finden, der KI tatsächlich zu einer Technologie für die Menschen macht und nicht gegen sie. Indem sie etwa dafür eingesetzt wird, Umweltkatastrophen besser vorhersagen zu können, Klimaschutzziele gezielter zu erreichen oder auch tatsächlich eintönige Arbeitsschritte zu ersetzen und den Menschen mehr Raum zu geben, sich zu entfalten. Global betrachtet wären dafür strenge Regulierungen auf staatlicher Ebene notwendig. Und zwar solche, die auf sozialer Verantwortung beruhen.

Wer profitiert wirklich?

Sozial verantwortlich wären der Einsatz und die Weiterentwicklung von KI nur dann, wenn nicht nur einige wenige davon profitieren würden. Momentan zeichnet sich jedoch genau das Gegenteil ab: Das Rennen um die Entwicklung neuer KI-Modelle liefern sich große Firmen in den USA und China. Die Macht konzentriert sich auf wenige Eliten – sowohl in finanzieller Hinsicht als auch was die grundlegenden Veränderungen betrifft, die uns als Gesellschaft bevorstehen.

Wer also wird am Ende wirklich davon profitieren, dass, wie Elon Musk voraussagt, „KI alles besser können wird, als der Mensch“? Denken wir dabei an dröge Fließbandarbeit, an repetitive Handgriffe, die Maschinen übernehmen können, klingt das vielleicht wie eine Verheißung. Weniger erfreulich ist jedoch die Vorstellung, dass KI zunehmend auch kreative und planerische Tätigkeiten übernehmen und immer mehr das ersetzen könnte, was das Menschsein eigentlich ausmacht. Was es dann bedeutet, als Arbeitskraft überflüssig zu werden, weil eine Maschine die eigenen Fähigkeiten ersetzt, mag man sich kaum vorstellen. Und schon jetzt ist durch den vermehrten Gebrauch von KI auch sehr stupide neue Arbeit notwendig geworden – man denke an die eingangs erwähnten Job-Angebote. Ich kann mir wirklich spannendere Tätigkeiten vorstellen, als einem Chat-Bot Sprachtraining zu geben.

Wir müssen uns immer wieder ins Gedächtnis rufen: KI ist eine Technologie. Weder kann sie fühlen, noch verfügt sie über ethische Werte oder Moralvorstellungen. Sie weiß nicht, welche Begrifflichkeiten rassistisch sind, sie kennt keine queerfeindliche Ausdrucksweise oder Diskriminierung von Minderheiten. All das aber muss ihr beigebracht werden. Die Flut an Sprachdaten, mit denen Modelle wie ChatGPT gefüttert werden, muss von Rassismus, rechtsradikalen und diskriminierenden Ausdrucksweisen befreit werden. Eine hochkomplexe Aufgabe, wenn man bedenkt, dass Bedeutung immer durch den Kontext entsteht, in dem etwas gesagt wird und nicht an einzelnen Wörtern festgemacht und geändert werden kann. In Kenia ist dafür bereits ein neuer Billiglohn-Sektor entstanden, im sogenannten Silicon Savannah. Dort säubern Menschen etwa für OpenAI Daten – zum Hungerlohn von zwei Dollar pro Stunde. Insgesamt steht die Start-up-Szene in Kenias Hauptstadt Nairobi seit Jahren für solche ausbeuterischen Strukturen in der Kritik. Denn anstelle der Einheimischen profitieren vor allem ausländische Unternehmen von dem plötzlichen wirtschaftlichen Aufschwung durch die Tech-Industrie. So wiederholen sich jahrhundertealte koloniale Machtverhältnisse, die nur durch ein globales Umdenken durchbrochen werden könnten.

Wie weiter?

Angesichts der rasanten Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz wird sich jedoch auch für jede und jeden von uns früher oder später die Frage stellen, wie wir im Alltag und im Arbeitskontext mit dieser Technologie umgehen wollen. Wir werden dabei mehr und mehr dazu aufgefordert sein, aktiv zu werden – und damit meine ich zunächst eine innere Aktivität, die uns davor bewahrt, die tiefgreifenden Veränderungen einfach über uns ergehen zu lassen.

Drastischer ausgedrückt besteht sogar die Notwendigkeit, innere Haltung zu beziehen und uns zu fragen: Was wollen wir als Einzelne, was wollen wir als Menschheit? Sonst laufen wir Gefahr, uns von uns selbst abzuspalten, uns in unserem Menschsein zugunsten von Effizienz, Planbarkeit und Bequemlichkeit zu vernachlässigen. Denn so sehr KI auch Teil unseres Lebens werden könnte: Wir selbst werden Menschen bleiben. Wir werden immer das Bedürfnis haben, mit anderen Menschen zu interagieren. Wir werden fühlende, unlogische, kontingente Wesen bleiben, die krank werden und vereinsamen, wenn sie nicht in Resonanz mit ihrer Umwelt, ihrem sozialen Umfeld treten können.

Hier aber müssen wir tatsächlich tätig werden: Wir müssen die Resonanzfähigkeit kultivieren, damit sie nicht verkümmert. Es muss uns ein Anliegen sein, nicht zu verlernen, unsere Gedanken eigenständig zu kommunizieren. Nicht zu verlernen, uns individuell auszudrücken, in Texten, in Bildern, in Musik. Mit unseren Mitmenschen in Kontakt zu treten – von Mensch zu Mensch. Gerade weil KI-Technologien schon heute zum Teil wesentlich schneller, effizienter und planbarer funktionieren als wir, müssen wir diese Fähigkeiten als Wert an sich erkennen und aktiv pflegen.

„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ – der kantische Leitgedanke der Aufklärung wird wieder aktueller denn je. Und diesmal trägt er die Frage in sich, wie wir uns gegenüber einer Technologie behaupten können, die unseren Verstand zunehmend imitiert und uns zum Teil bereits übertrifft. Zum Teil – denn was wir der Maschine immer voraushaben werden, ist eine ganz andere Art von Verstand: Es sind unsere sozialen und emotionalen Fähigkeiten, die wir als Gesellschaft stärken können. In einer utopischen Zukunft, in der KI tatsächlich dazu führt, dass wir mehr zeitliche Kapazitäten haben, können wir diese dafür nutzen, füreinander da zu sein, uns zu vernetzen, unser Lebensumfeld gemeinsam zu gestalten und zu verbessern. Wir können das beginnende Zeitalter von KI als den Aufruf dazu verstehen, uns neu bewusst zu machen, was uns als Menschen ausmacht, was unsere Werte sind und wie wir leben wollen.

Im Bewerbungsgespräch bei einer analogen Zeitschrift wurde ich dann übrigens gefragt, ob ich meine eingereichte Reportage selbst geschrieben hätte oder ob sie per ChatGPT erstellt worden sei … ///

Dieser Beitrag stammt aus der info3-Ausgabe September 2025.

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Über den Autor / die Autorin

Johanna Manger

hat Literaturwissenschaft und Philosophie studiert und beginnt im Herbst ein Volontariat beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt am Main.

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