Jimmy Carter – ein Präsident wie kein anderer

Foto: Carter Center

Menschenrechte, Umweltfragen und der Glaube, dass Frieden möglich ist – das waren seine Lebensthemen. Nun ist Jimmy Carter im Alter von 100 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Noch in seinem letzten Lebensabschnitt war Jimmy Carter wie ein lebendes Idol, ein Vorbild für ein anständiges Leben, ein Repräsentant für ein anderes Amerika. Im November 2023 verstarb seine Ehefrau Rosalynn. Jimmy nahm im Rollstuhl schweigend an der Bestattungsfeier teil. Dabei scheute er sich nicht, zu seiner Gebrechlichkeit zu stehen. Er hatte sich nach einer erneuten Krebserkrankung und einem kurzen Krankenhausaufenthalt im Februar 2023 in häusliche Hospizpflege begeben. Damit lebte er diese Möglichkeit des Umgangs mit der letzten Zeit vor dem Sterben vor. Er hat es geschätzt, zuhause durch sein medizinisches Team und die Liebe seiner Familie unterstützt zu werden. Durch seinen Umgang mit dem Altern, der Krankheit, der Gebrechlichkeit und dem bevorstehendem Tod  wurde in den USA eine öffentliche Debatte über diese Tabuthemen ausgelöst.

Jimmy Carter war Sohn eines Erdnussfarmers, ein Junge vom Land, in schlichten Verhältnissen aufgewachsen, ohne Strom und fließendes Wasser im Haus. So begann ein Leben, das jetzt zu Ende ging. Er wurde 1924 geboren und wuchs im ländlichen Süden der USA auf, er war bekennender und aktiver Christ. Nach Abschluss der schulischen Ausbildung wurde er U-Boot Offizier der Navy. Schon früh in seinem Leben war er politisch für die demokratische Partei tätig, avancierte dann zum Gouverneur seines Staates Georgia und wurde schließlich von 1977 bis 1981 Präsident der Vereinigten Staaten.

Die Weltlage war zur Zeit seiner Präsidentschaft angespannt, und der Kalte Krieg stellte eine beständige Bedrohung dar. Die Energiekrise der 1970ger-Jahre schockierte die westliche Welt. Mit dem Geiseldrama in der amerikanischen Botschaft in Teheran nahmen die Spannungen erschreckende Formen an. Jimmy Carter widerstand jedoch allen Forderungen seines Umfelds nach einem militärischen Eingreifen. Seine Geduld und zähes Verhandlungsgeschick führten nach 444 Tagen zur gewaltlosen Befreiung der Geiseln.

Nicht ohne Stolz betonte er, dass in seiner Regierungszeit kein Krieg begonnen wurde. Bis heute ist er als Nahostexperte anerkannt, der 1978 einen historischen Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten, das Camp-David-Abkommen, ausgehandelt hat. 2002 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Motiv und Merkmal seiner Tätigkeit war eine werteorientierte Politik. Als eine seiner ersten präsidialen Amtshandlungen versandte er Briefe an die Botschafter der USA, in denen er sie wissen ließ, dass nunmehr die Menschenrechte höchste Priorität hätten, auch gegenüber wirtschaftlichen Interessen.   

Seit etwa 25 Jahren kommen Journalisten, Politiker und Historiker zu einer Neubewertung von Carters Amtszeit. Viele sehen in Jimmy Carter einen Weisen, der durchaus prophetische Züge trug. In Amerika wird er auch als „Man of Vision“ bezeichnet, der vom Bild einer friedlichen, gerechteren und sozialen Welt geleitet wurde. Darum setzte er sich auch für die Rechte von Minderheiten ein, besonders der indigenen Völker in den USA, soweit ihm das möglich war. Allerdings hatte er in seiner Präsidentschaft gegen vielfältige Widerstände anzukämpfen. Mit dem von ihm und seiner Frau Rosalynn 1982 gegründeten Carter Center versuchten sie, die Lebensziele umzusetzen, die sie schon zu seiner Amtszeit als Maxime hatten: Förderung des Friedens in der Welt durch Vermittlung und Diplomatie, Verträge zur nuklearen Abrüstung, verstärkten Einsatz für Menschenrechte, Kampf für Gleichberechtigung und gegen Hunger und Krankheit in ärmeren Ländern.

Schon als Präsident hatte er sich unermüdlich für den Umweltschutz eingesetzt, ließ Nationalparks und Naturschutzgebiete einrichten und erlangte so den inoffiziellen Titel als „Umweltpräsident“. Er ließ auf dem Dach des Weißen Hauses eine Solaranlage errichten – ein Novum in der damaligen Zeit –, empfahl einen sorgsamen Umgang mit Rohstoffen und forderte zum Energiesparen auf. Mit derartigen Einstellungen machte er sich besonders bei den Rechten, den Fundamentalisten und den Evangelikalen keine Freunde. Carter erkannte schon in den 70er-Jahren die Vorboten der zunehmenden globalen Umweltprobleme. Deshalb gab er eine umfangreiche Studie unter dem Titel Global 2000 in Auftrag, die über den Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 noch hinausgeht. Carter erkannte lange vor den meisten seiner Zeitgenossen die drohenden Folgen einer Klimakrise mit weitreichenden Folgen und verwendete den Begriff Klimawandel, Jahrzehnte bevor dieser in den öffentlichen Diskurs Eingang fand.

Der Satz „Hätten wir doch nur auf Jimmy Carter gehört“ taucht immer wieder in US-Medien auf, wann immer es um aktuelle globale Probleme geht.

Im Juli 2023 hatten die Carters ihren 77. Hochzeitstag gefeiert. Auf die Frage nach dem Geheimnis ihrer langjährigen Ehe gaben sie die Antwort: Ein Leben lang hätte für sie die Regel gegolten, jeden Abend vor der Nachtruhe Frieden miteinander zu schließen.

Carter hat versucht, Moral und Politik in Einklang zu bringen, das Recht auf Leben, Freiheit und Erstreben von Glück der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, ergänzt um seine Vision einer besseren Welt und dem Streben nach Frieden. Mit dieser Auffassung reiht er sich ein in die edlen Traditionen der amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau, Margaret Fuller und anderer Transzendentalisten, aber auch in die Welt seiner Zeitgenossen Martin Luther King, Rosa Parks, Joan Baez, Noam Chomsky, Ruth Bader Ginsburg und vieler anderer, eher stiller und bisher unbekannt gebliebener Amerikanerinnen und Amerikanern. Sie alle stehen mit ihm für das andere Amerika.

Jimmy Carter starb am 29. Dezember 2024 in Plains.

Harald Kiczka ist Autor der ersten deutschsprachigen Biografie Carters:
Jimmy Carter und das andere Amerika, Info3 Verlag Frankfurt 2022.

Über den Autor / die Autorin

Harald Kiczka

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