Zu den Vorboten der zahlreichen Ausstellungen, die nächstes Jahr den 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich feiern werden, zählt auch das neue Buch von Florian Illies Zauber der Stille, das nicht nur das Leben des Malergenies neu zu beschreiben versucht, sondern auch die „Wanderschaft“ seiner Gemälde durch die Jahrzehnte nach Friedrichs Tod. Illies, ehemaliger Feuilletonchef großer deutscher Zeitungen, kann ohne Zweifel gut und effektiv schreiben. Vor allem die vielen dramatischen Brände und Diebstähle, denen Friedrichs Gemälde zum Opfer fielen, erzählt er wie Krimis, spannend und so ausführlich, dass man sich gelegentlich fragt, wo denn die Betrachtungen zur eigentlichen Kunst des Malers bleiben. Auch der Instrumentalisierung seiner Gemälde durch die Nazis wird viel Raum gegeben, weil das natürlich zahlreiche bizarre Farben hergibt, auf die ein Journalist nicht gerne verzichten will. Doch das Buch wird nach und nach besser, tiefgründiger und origineller: insgesamt gerät es doch zu einer großen Liebeserklärung an diesen einzigartigen Künstler der Romantik, die durchaus auch neue Einsichten über ihn vermitteln kann.
Dabei geht Illies auch auf spirituelle Dimensionen in Friedrichs Werk ein, auf dessen ganz spezifische Form der Gottessuche, von welcher der Kunsttheoretiker László F. Földényi sagte, es sei unentschieden, ob der Maler „das Sehen Gottes oder (…) das Sehen des Fehlen Gottes“ beschrieben hätte. Darüber kann man trefflich streiten, aber immerhin war Friedrich kein christlicher Maler im herkömmlichen Sinne, was ihm auch heftige Kritik von frömmelnden Zeitgenossen und den Vorwurf des „Pantheismus“ einbrachte (wie übrigens auch Goethe, Schiller und Spinoza). Friedrich malt keine Kirchen als weihevolle Prachtbauten, sondern als Ruinen, die von der Natur zurückerobert werden – das Gemälde Abtei im Eichwald stellt diese so düster dar wie den Eingang in eine den Menschen verschlingende Unterwelt. Ebenso blickt der gleichzeitig entstandene Mönch am Meer nicht in einen von hellem Gotteslicht erfüllten Himmel, sondern steht einer Unendlichkeit gegenüber, die auch unheimliche Züge trägt: Ein winziger Mensch in schwarzer Kutte wird fast erdrückt von einem gewaltigen, auch teilweise dunkel gezeichneten Raum über ihm, der zunächst einmal nicht unbedingt Trost und Zuversicht spendet.
Hierzu passt die überraschende Bemerkung Samuel Becketts, er sei von Friedrich-Bildern zu seinem Theaterstück Warten auf Godot inspiriert worden, sowie seine Tagebucheintragung: „Friedrich. Schöne Vorliebe für zwei kleine, müde Männer in seinen Landschaften (…) die einzige noch akzeptable Form der Romantik: Das Ganze in Moll.“
Friedrich war kein naiv glaubender Mensch und geistig viel zu selbständig, um irgendwelchen verordneten Kirchendoktrinen anzuhängen, außerdem kannte er die düsteren Seiten des Lebens durch zahlreiche eigene schmerzhafte Erfahrungen. Dazu zählen etwa der frühe Verlust des Bruders, der beim Versuch, ihn aus dem Eiswasser zu retten, ertrunken war sowie zahlreiche depressive Phasen und sogar ein Suizidversuch. Und doch erblickte Friedrich das „Göttliche“ immer wieder in der Natur, in „Wolken und Felsen“, mit den er sich – wie er schrieb – immer wieder vereinigen müsse, „um das zu sein, was ich bin.“ Er empfing gerne Gäste in seinem Atelier, außer, wenn er die Luft und die Wolken in seinen Bildern malte. Dann, so überlieferte seine Frau, dürfe man ihn nicht stören, denn „Himmelmalen ist für ihn wie Gottesdienst“. An diese Bemerkung anschließend zählen Illies‘ Reflexionen zum Element der „Luft“ in Friedrichs Bildern denn auch zu den schönsten und am meisten inspirierenden Passagen seines Buches. Vielleicht ausgehend von Friedrich Schleiermachers genialer Bemerkung, Religion sei „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“, malt Friedrich die Unendlichkeit seiner Horizonte mit so viel Hingabe, Zärtlichkeit und differenziertem Feingefühl, dass sie fast zum Hauptakteur vieler Bilder werden: zu etwas Ungreifbarem, Transzendentem, sich aller Begrifflichkeit Entziehenden, das für den Maler ein ganz besonderes Fluidum war, weil es eben den zu schnellen Zugriff auf ein „Göttliches“ verweigert. Dazu passt auch Friedrichs Absage an Goethe, der von ihm Illustrationen für einen Wolkenatlas haben wollte. Dafür war er sich zu schade, denn der Himmel war für ihn, so Illies, „ein magischer, heiliger Ort, den kann er nicht zum naturwissenschaftlichen Lehrmaterial herabwürdigen, wie es der Geheimrat gerne hätte, der die Ordnung so schätzt bei den Gesteinen und den Gestirnen.“
Hierin liegt vielleicht auch eine ganz besondere Aktualität des Malers, der vielleicht schon wusste, was wir heute durch die Klima- und die ökologische Krise schmerzhaft erfahren: wie gefährdet und verletzlich die zarte Hülle unserer Erde, wie verletzlich überhaupt die gesamte Natur ist, die seine Bilder uns immer wieder mit neuen Augen sehen lehren. Modische Begriffe wie Nachhaltigkeit, Achtsamkeit, Entschleunigung kommen einem in den Sinn, wenn man so auf Friedrichs Werk schaut. Seine Bilder, so Illies, könnten für den nach fernöstlicher Spiritualität hungernden erschöpften Zeitgenossen auch westliche Meditationsübungen sein: „Denn dass man Gedanken kommen und gehen lasse sollte wie Wolken, das kann man von niemandem so gut lernen wie von Caspar David Friedrich. Er zeigt uns, was Wolken sein können: Geschenke des Himmels.“
Ist das anlässlich all der momentanen Katastrophen in der Welt genug? So könnte man mit den Augen eines Skeptikers fragen, dem Schönheit, Magie, Feingefühl und Poesie in der Kunst nicht ausreichen als Antwort auf die erdrückenden Probleme unserer Zeit. Auf diesen auch gegenüber der Romantik immer wieder erhobenen Einwand reagiert Illies mit einem wunderbaren Satz des Philosophen Ernst Bloch, Autor des Prinzip Hoffnung: „Dass einer übriggeblieben ist, der das Bild malen kann, und einer, der es sehen kann, zeigt, dass nicht alles verloren war“. ///
Illies’ Buch ist im Info3-Shop bestellbar:
Florian Illies
Zauber der Stille
Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten
S. Fischer 2023
256 Seiten
€ 25,00