Henning Köhler wurde am 21. Mai 1951 geboren und fiel schon in jungen Jahren im Rahmen der Dreigliederungsbewegung auf. Er selbst beschreibt sich rückblickend als 23-Jährigen so: „Ich kam aus dem linksalternativen Milieu, fühlte mich den amerikanischen Yippies verbunden (einer pazifistischen Spaßguerillia, deren Späße allerdings geeignet waren, Staatskrisen heraufzubeschwören), stand weltanschaulich irgendwo zwischen Nietzsche, Sartre, Aurobindo und Kropotkin, schrieb düstere Rock-Lyriks und absurde Theaterstücke, verehrte Samuel Beckett und Jimmy Hendrix und wollte die Welt verändern. Die Anthroposophie hatte ich während eines einjährigen heilpädagogischen Praktikums in Haus Sonne (Saarland) kennen gelernt. Steiner war in meinen Augen ein begnadeter Träumer, der alles, was vor seinem inneren Auge erschien, kurzerhand als ‚geisteswissenschaftliches‘ Forschungsergebnis ausgab – und auf diese Weise eine Menge Gutes bewirkte. Das gefiel mir.“ (Nachzulesen im Achberg-Band von Brüll/Rappmann, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, 2016.) Beruflich war Henning Köhler zunächst als Heimerzieher, Kleinklassenlehrer und klinischer Heilpädagoge tätig. 1986 gründete er die Heilpädagogisch-Therapeutische Ambulanz, die seit 1987 einen Teil des Janusz-Korczak-Institutes in Nürtingen bildet. Eines seiner wichtigsten Bücher trägt den für seinen Ansatz programmatischen Titel Schwierige Kinder gibt es nicht. Köhler sprach nicht von Schwächen und Problemen, sondern lieber von „neuen Begabungsprofilen“ bei Kindern. „Wir wollen dazu beitragen, dass die Kinder auch unter misslichen Bedingungen die Stärken und Schönheiten ihrer Wesensart zum Vorschein bringen und ihre Schwächen so integrieren können, dass sie ihnen nicht zum Lebenshindernis werden“, hieß es in einem seiner anderen Werke.
Seine empathische Zuwendung zur Situation der Kinder verband er mit einer intensiven Zeitanalyse und philosophischem Tiefsinn. „Den warmen Philosophen der Kindheit“ hat ihn Jelle van der Meulen einmal genannt. In einem schon etwas zurückliegenden Beitrag erinnert sich van der Meulen an eine Szene, die Köhler als Redner lebhaft in Erinnerung ruft: „Das Schönste ist, wenn er auf einmal etwas sagt, das nicht schon vorher gedacht war, sondern sich unerwartet neu aus dem schon Gesagten ergibt. Es ist dann, als ob sich ein neuer Raum vor allen Zuhörern spürbar öffnet, erst anfänglich ‚leer‘ im Raum schwebt, und dann mit Worten und Begriffen und Bildern, die von irgendwo tief unten hergeholt werden, gefüllt wird. Für solche Momente kenne ich nur ein Wort: Geburt.“
Henning Köhler veröffentlichte mehr als ein Dutzend Bücher zu pädagogischen Themen im Verlag Freies Geistesleben Stuttgart und war bis zuletzt Kolumnist der Zeitschrift Erziehungskunst.
Henning war ab 1982 und bis zur Mitte der 1990er-Jahre auch regelmäßiger Autor und Kolumnist unserer Zeitschrift info3. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass der heutige Chefredakteur durch eine inhaltliche Kontroverse mit ihm, die Köhler in seiner Kolumne austrug, zu info3 fand. Die anfänglichen Gegensätze wichen später einem tiefen gegenseitigen Respekt. Henning Köhler nahm zuletzt auch die Einladung an, im Beirat der Zeitschrift info3 mitzuwirken. Sein eigenständiger, kritischer und liebevoller Ton wird fehlen.
Ramon Brüll und Jens Heisterkamp