Wenn wir überrascht oder überwältigt sind, bleibt uns die Stimme weg. Wenn es uns nicht gut geht oder wir voller Freude sind, dann klingen wir auch entsprechend. Die Stimme ist ein intimes Organ, über das wir kommunizieren, unseren Gefühlen Ausdruck verleihen und sogar freier, lebendiger werden können. Der Schweizer Filmemacher Bernard Weber lässt in seinem Film verschiedene Persönlichkeiten sprechen und singen, die eine große Liebe und Faszination für die Stimme – wie sie klingt, funktioniert und wirkt – verbindet.
„Ich probiere gerade aus, wie ich Klackrhythmen produzieren und mit den Backenmuskeln pfeifen kann“, schildert Andreas Scheuer, ein Schweizer Klangkünstler, der die Musik außerhalb der Norm sucht. Bei seinen internationalen Auftritten performt er zusammen mit Orchestern, Solo-Künstler*innen oder Jazzensembles. Er kann glucksen, beatboxen, wie eine Trompete tröten oder wie ein Klavier klingen. Sein erstes musikalisches Erlebnis mit der eigenen Stimme hatte er auf der Toilette seiner Tante. „Ich saß da und habe die kleinen Badfliesen mit den Augen verfolgt und dazu einen Rhythmus und Töne entwickelt“, erzählt der Jazz Sänger. Heute sucht er das Archaische, die Tiefe und den Grund des Lebens in der Stimme: „Das ist das, was man sucht: Die Befreiung der Seele.“ Für eine gute Balance sei es wichtig, nicht nur schöne Musik zu machen. Auch das Schräge und Schreckliche, was wir in der Welt erleben, sucht Ausdruck in der Stimme.
Die Sopranistin Regula Mühlemann zählt zu den bedeutendsten Nachwuchssängerinnen im Opernbereich. Die Luzernerin hat bereits zahlreiche Preise erhalten und erzählt im Film, wie sie schon früh in ihrem Leben hingerissen war von dem Erlebnis eines Chores und wie sie selbst die Augenblicke erlebt, in denen sie den richtigen Ton findet, der frei in ihr schwebt. Die Arbeit als Konzertsopranistin bringt neben der tiefgründigen Freude auch vor allem anstrengende und herausfordernde Momente mit sich. „Wir nehmen gerade eine komplette CD in drei Tagen auf, das macht mich total nervös, ich zittere am ganzen Körper.“ Dasselbe Lied muss sie, sichtlich am Ende ihrer Kräfte, immer wieder singen. Auch für Mühlemann liegt in der Stimme eine befreiende Komponente: „Ich muss alles an mir akzeptieren, auch, was ich nicht so gut kann. Sonst blockiere ich mich ständig selbst.“
Miriam Helle, eine Frau, die in ihrer Schulzeit noch dachte, sie treffe keinen Ton richtig, unterstützt Menschen dabei, sich über die eigene Stimme näher zu kommen und das Selbstgefühl zu stärken. Als Stimmtherapeutin führt sie andere auf den Weg, den sie in ihrer Ausbildung erfahren hat: Die eigene Stimme frei und intuitiv gebrauchen, wie es Kinder einfach tun, aber Erwachsene höchstens bei starken Schmerzen zulassen können. Als Therapeutin begleitet Helle werdende Eltern, die durch gemeinsames Tönen eine leichtere und intensivere Geburt erleben können, eine lärmempfindliche Moderatorin, die mit einem freilassenden Ton mehr sagen kann als mit Wörtern oder eine Grundschulklasse, die gerade den Auftritt des Theaterstückes Dornröschen probt. In einer Szene tönt eine große Gruppe in einem Raum mit hohen Wänden, es gibt einen Klangteppich und Soli, zwei Personen singen sich gegenseitig ins Gesicht – in Zeiten von Corona muss dieses intensive Singen miteinander eine unerfüllte Sehnsucht bleiben.
Auf wissenschaftliche Weise beschäftigt sich der Stimmforscher Matthias Echternach mit der Stimme. Er beobachtet Mundhöhle und Stimmbänder der Jodlerin Nadja Räss im Kernspin und macht Aufnahmen mit einer Minikamera von Georgia Browns Kehlkopf – sie erreicht außergewöhnlich hohe Töne wie beispielsweise das dreigestrichene f aus Mozarts Königin der Nacht. Ob er das Rätsel der Stimme je entschlüsseln wird, bleibt noch zu erwarten, vielleicht wird der Klang der Stimme aber auch auf ewig ein Mysterium bleiben. Der Film gibt keine Antworten, aber dafür vielen Facetten der Stimme einen Raum – und das Erlebnis des Klangs schwingt auch über den Bildschirm.
Der Film ist bei Info3 im DVD-Shop erhältlich.