In Zeiten der Pandemie werden wir täglich ermahnt, uns immer und ausschließlich an „die Wissenschaft“ zu halten. Das Problem, dass sich die wissenschaftlichen Aussagen zu Corona und den notwendigen Maßnahmen teilweise massiv widersprechen, löst die Politik für sich praktischerweise so, dass sie einfach nur auf eine Richtung von Experten hört und dies in der Folge auch von uns verlangt. Dankbar wird das von vielen Zeitgenoss*innen mit geradezu heißer, inniger Hingabe angenommen, wie wir sie sonst nur von Gläubigen kennen. Dagegen wird dichotom „die Esoterik“ gestellt, die, wenn man den Warnern glauben darf, das Gegenteil von Wissenschaft und eine der größten Gefahren im Umgang mit dem Virus ist. Esoterik wird dabei vorwiegend als ein von durchgeknallten Spinnern in langen, wallenden Gewändern unter Verwendung von Räucherstäbchen, Amuletten und Heilkristallen ausgeübter Wahnsinn dargestellt, von denen man sich wohltuend unterscheidet. „Ei ja! – Da bin ich wirklich froh! Denn, Gott sei Dank! Ich bin nicht so!“ – wie schon Wilhelm Busch wusste.
Nun ist allerdings Esoterik (von altgriechisch ἐσωτερικός esōterikós „innerlich, dem inneren Bereich zugehörig“) in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs eine philosophische Lehre, die nur für einen begrenzten „inneren“ Personenkreis zugänglich ist, im Gegensatz zu Exoterik als allgemein zugänglichem Wissen. Wer als Exoteriker zufrieden mit sich und der Welt und ihrer Erklärung ist, für den ist es schlicht kein Thema. Es gibt aber auch Menschen, die „gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet“ – so jedenfalls charakterisiert Rudolf Steiner Menschen, die noch nach etwas anderem, etwa durch anthroposophische Vertiefung, suchen. Zu dieser Vertiefung gehört zentral die Meditation, deren Praxis nun ausgesprochen viel mit Gesundheit, Abwehrkräften und Resilienz zu tun hat. Erfreulicherweise gibt es anerkannte Wissenschaftler an vielen Universitäten, die sich seit vielen Jahren mit wissenschaftlichen Methoden der Erforschung dieses offenkundigen Zusammenhangs widmen.
Meditative Übungen haben einen Effekt auf Körper und Geist, der wissenschaftlich nachgewiesen werden kann. Aufgrund der Plastizität des Nervensystems führt wiederholtes Meditieren nach einiger Zeit zu messbaren strukturellen Veränderungen im Gehirn. Reduziertes Stresserleben oder erhöhte Schmerztoleranz lassen sich auf diese Weise objektivieren. In der buddhistischen Meditation etwa geht es um eine gezielte Transformation des Bewusstseins, sodass in jeder Situation ein projektionsfreies Verhalten möglich wird. Nicht die Ich-Auflösung im Unendlichen, sondern Ich-Integration im differenzierten Ganzen. Achtsamkeitsbasierte Psychotherapieverfahren mit Elementen der Meditation führen zu positiven Effekten bei der Behandlung unterschiedlicher psychischer Störungen wie Depression, Abhängigkeit, Schmerz oder Persönlichkeitsstörungen.*
Meditation stammt aus der Praxis jahrhundertealter spiritueller Traditionen und ist noch heute ein klassisches Werkzeug der Bewusstseinsforschung. Intellektuelle Redlichkeit und eine aufgeklärte Spiritualität haben nicht nur gemeinsame Wurzeln, sondern sind in Wirklichkeit zwei Seiten derselben Medaille. Wenn man diese wissenschaftlichen Aussagen ernst nimmt, so ist eine esoterisch-meditative Praxis nicht nur nicht schädlich, sondern sie kann von großem Nutzen für das Verständnis und die eigene wie auch die Gesundheit der anderen sein.
*Die inhaltlichen Belege zum Zusammenhang von Meditation und Wissenschaft entstammen einer gleichnamigen Tagung in Berlin aus dem Jahr 2010, deren Beiträge hier zu finden sind.
Ein Text aus der Februarausgabe der Zeitschrift info3 mit dem Titel Esoterik. Mehr als nur ein Reizwort. Hier das Einzelheft im Print bestellen.